(Für-)Sorge (Care) als zentraler feministischer Begriff hält nicht erst seit Beginn der COVID-Pandemie 2020 Eingang in zahlreiche wissenschaftliche wie öffentliche Diskussionen. Vielmehr stellt er einen grundlegenden Begriff und Ausgangspunkt feministischen Nachdenkens und intersektionaler Kämpfe der letzten Jahrzehnte dar: Fürsorge umfasst vielfältige Tätigkeiten. Aus politisch-feministischer Sicht verweist der Begriff auf spezifische Tätigkeiten des sich Kümmerns und umfasst dabei ein weites Spektrum. Darunter fallen sowohl der Bereich der Reproduktion und Erziehung – damit also das Konzept der Elternschaft –, wie auch die Pflege von älteren und kranken Menschen sowie Menschen mit Behinderung und darüber hinaus vielfältige häusliche Tätigkeiten. Es geht also um die Ver- und Umsorgung von Menschen, aber auch der Umwelt und von materiellen Gegenständen. Obwohl Sorgearbeit die Grundlage allen Wirtschaftens darstellt, ist sie monetär nicht entlohnt und wird in den meisten Fallen von Frauen geleistet.
Gegenwärtig beobachten wir dabei die Digitalisierung unterschiedlichster Lebens- und Tätigkeitsbereiche. Es überrascht daher wenig, dass auch Care-Arbeit davon nicht unberührt bleibt. Man denke da etwa an Pflege- oder Sexroboter oder Apps zur Auslagerung von Haushaltstätigkeiten wie Einkaufen, Ernährung und Reinigung (Lieferando, Gorilla, Flink, Helping) sowie an smarte Kühlschränke oder umfassende smart home-Anwendungen. Dabei umfasst die Digitalisierung von Sorge-Arbeit ein größeres Spektrum als nur die Auslagerung von Arbeit – die Art und Weise, wie wir sichere Informationen gewinnen, Rollenbilder sich entwickeln und geprägt werden, wie sich Fürsorge in digitalen Räumen gestaltet – genau diesen Aspekten widmet sich das Dossier und versucht so einen erkundenden netzfeministischen Blick auf den Zusammenhang von Sorge-Arbeit und Digitalisierung.
Zu den Beiträgen
Care und Digitalisierung weben ein Netz vielfältiger Zusammenhänge. Umso wichtiger erscheint dabei eine genuin netzfeministische Perspektive, die Sorgearbeit ernst nimmt.
Women on Web für ein Web for Women
Sind Informationen im Internet wirklich für alle verfügbar? Wie globale Tech-Unternehmen den Zugang zur sicheren Abtreibungsversorgung erschweren
von Women on Web
Medikamentöser Schwangerschaftsabbruch zuhause – Möglichkeiten digitaler Unterstützung
Nicht alle Schwangeren wollen Eltern werden – umso wichtiger ist es, ein sicheres Angebot für Schwangerschaftsabbrüche zu schaffen und für alle frei zugänglich zu gestalten.
von Jana Maeffert und Dani Nikitenko
Digitale Sorgearbeit und regenerative Arbeit. Ein Vergleich.
Die Figur der digitalen Hausfrau findet sich vermehrt auf digitalen Plattformen wie Instagram oder Facebook. Ihr Tätigkeitsfeld umfasst vor allem das stetige Hochladen neuer Beiträge, denn sie ist auf Likes, Klicks und Interaktion mit ihren Follower*innen angewiesen.
von Ute Kalender
Reproduktive Gerechtigkeit in der Digitalisierung
Digitalisierung erleichtert es Menschen Care-Arbeiten zu verrichten. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie es um reproduktive Gerechtigkeit in der digitalen Transformation steht konkret mit Blick auf Reproduktionstechnologien. Gerade in diesem Kontext gilt es, alle Akteur*innen in den Blick zu nehmen und strukturelle Diskriminierung vorzubeugen. Wir müssen uns immer wieder die Frage stellen, ob wir das, was technologisch möglich ist, wirklich wollen, und welche Interessen dabei in erster Linie vertreten werden.
von Derya Binışık
Retraditionalisierung auf Instagram
Instagram ist voll von Bildern über Schwangerschaft, Kinder und Familie – alles erscheint dort natürlich, idyllisch und perfekt. Wer nach dem chaotischen Familienalltag, der Vereinbarkeitskluft oder kritischen Auseinandersetzungen mit einem modernen Mutterideal sucht, muss wirklich tief graben.
von Lisa Trautmann
Instamoms – Feminismus oder Retraditionalisierung?
Mutterschaft auf Instagram ist schön, perfekt und vermittelt ein Bild zum wohlfühlen. Das ist jedoch alles andere als divers und modern. Stattdessen werden hier alte Traditionen nicht nur wiederbelebt sondern auch mit einer besonderen Brisanz als das Mutterideal verkauft.
Trans-Elternschaft im digitalen Raum
Neben cis-heteronormativen Familienmodellen bieten soziale Medien auch Platz für eine Vielfalt von Familienmodellen und Communitybuildiung abseits der Norm – doch das ist alles andere als konfliktfrei und stets dominiert und abhängig von ökonomische Interessen.
von Maya
Wer wird die Menschheit der Zukunft zur Welt bringen?
Die VR-Arbeit „Virtual Wombs“ fordert die Vorstellung von Frau- und Muttersein radikal heraus. Dieser Artikel ist zuerst im Missy Magazin am 13.01.2022 erschienen.
von Ulla Heinrich mit Bildern von Anan Fries
KI can’t care. Mütterlichkeit im Zeitalter Künstlicher Intelligenz
Mutterschaft ist in feministischen Diskursen oft ein Randthema. Künstliche Intelligenz könnte Wege aufzeigen, wie das Thema aktiver in feministische Kämpfe eingebunden werden kann.
Digitale Fürsorge im Freund*innenkreis
Digitale Fürsorge umfasst vielfältige Tätigkeiten – Inhalte hochladen, kommentieren, liken aber auch gegenseitige Unterstützung im Fall von Hasskommentaren oder digitalem Stalking. Was als ganz grundlegende Aspekte des Digitalen daherkommt, muss jedoch als fundamentaler Arbeitseinsatz verstanden werden, der kommerzielle Plattformen am Laufen hält.
von Chris Köver
Bisher sind in Krankenhäusern in Deutschland technische Anwendungen noch nicht flächendeckend zu finden. Dabei kann gerade in Kliniken der Einsatz intelligenter Technik gewinnbringend für Sorge- und Pflegetätigkeiten sein – weil sie Arbeit abnimmt, erleichert und so Zeit für primäre Sorgearbeit gewonnen werden kann.
von Mandy Mangler
Unsicherheiten im Umgang mit der Digitalisierung
Im Bereiche von Sorge- und Pflegearbeit besteht große Unsicherheit mit Blick auf die Digitalisierung von Arbeitsprozessen – ein Grund dafür ist ein fehlender Gesamtansatz. Dabei wird vor allem Künstliche Intelligenz vielfach als Mittel der Optimierung von Care-Arbeit betrachtet, dabei sind diese Technologien nicht frei von Bias und selbst geleitet von ökonomischen Interessen.
von Katharina Mosene
Digitale Schwangerschaftsbegleitung für mehr Selbstbestimmung, Empathie und Wissenschaft
Schwangerschaft und Geburt als Sonderfälle im digitalen deutschen Gesundheistwesen befeuert alte heteronormative Rollenbilder. Doch feministische Technologien können Abhilfe schaffen.
von Mirjam Peters
Digitalisierung der Hebammenarbeit
Die Digitalisierung könnte die Geburtshilfe erleichtern, doch es mangelt an einem politisch einheitlichem Konzept und der Erkenntnis, dass es nicht reicht, Technologie ohne jene zu gestalten, die später damit arbeiten werden.
von Luisa Strunk
Soziale Medien bestimmen mit ihren Bilderverboten den Diskurs um Schwangerschaft und Geburt maßgeblich mit. Sie helfen damit aber nicht denen die Gebären, sondern prägen das Bild verbotener weiblicher Sexualität. Sexuelle Aufklärungsarbeit ist dringend nötig, Online-Angebote könnten dabei helfen.
von Francesca Orru
Zum Verhältnis von Ökonomie, Care-Arbeit und Digitalisierung
Ökonomisierung und Digitalisierung sind eng miteinander verwobene Prozesse. Umso wichtiger ist es, mit der historischen Entwicklung, wonach gesellschaftlicher Wohlstand auf einem ungleichen Geschlechterverhältnis fußt, zu brechen und diese nicht in einer digitalisierten Gesellschaft fortzuschreiben.
von Lena Weber
Die Sichtbarkeit von Sorge-Arbeit in digitalen Räumen
Damit sich etwas ändert, müssen wir mehr über die vielfältigen Gesichter und Aspekte von Care-Arbeit sprechen. Soziale Medien haben einen enormen Beitrag geleistet Sorge-Arbeit zu Entprivatisieren und diese als Basis allen wirtschaftens sichtbar zu machen.
von Jo Lücke
Digitale Tools für gerechte(re) Verteilung von Sorge-Arbeit
Sorge-Arbeit ist bis heute vergeschlechtlicht – sie wird in erster Linie von Frauen geleistet. In der Digitalisierung kann dabei eine Chance, liegen Sorge-Arbeit neu und gerechter zu gestalten – etwa indem uns digitale Tools dabei helfen, (un-)gerechte Aufgabenverteilungen nachzuverfolgen und die vielfältigen Aufgaben sichtbar zu machen.
Harmony’s Future | No Future w/o Harmony
Die wissenschaftliche Diskussion um Sexrobotik ist zumeist polarisiert. Eine Perspektive bietet Constanze Erhard, in dem sie vorschlägt, in Bezug auf Sexbots von sexualisierter Care-Arbeit zu sprechen, um damit die (den Sexbots) zugrundeliegenden vergeschlechtlichten Herrschaftsverhältnisse besser fassen zu können und so zum Ausgangspunkt einer feministischen Analyse zu machen.
von Constanze Erhard
Digitalisierung braucht Care-Arbeit
Was wir unter Digitalisierung verstehen ist selbst in hohem Maße auf fürsorgliche Tätigkeiten angewiesen. Das, was gemeinhin unter Digitalisierung verstanden wird – algorithmische Systeme, soziale Medien und Newsfeeds –, basieren auf von Menschen geleisteten Care-Arbeiten. Das schließt Menschen mit Behinderung nicht aus.
Einsamkeit ist ein aktuelles Thema. Dabei gewinnt zunehmend die Frage an Relevanz, ob Roboter uns dabei helfen können, uns weniger allein zu fühlen. Was es heißt eine Freundschaft mit einer Maschine zu schließen, lotet der Beitrag auf und zeigt dabei mögliche Probleme und Grenzen auf.
von Paula Ziethmann
Weiterführende Literatur & Links
- Care-Arbeit und Gender in der digitalen Transformation (2022), Hrsg. Mara Kastein und Lena Weber
- Reproduktionstechnologien. Queere Perspektiven und reproduktive Gerechtigkeit (2021), Hrsg. Gülden Ediger, Anthea Kyere, Ute Kalender, Valle Mazzaferro
- Equal Care Day
- Care Rechner
- Reproduktive Gerechtigkeit (Gunda-Werner-Institut)
- Podcast-Folge: Die digitale Hausfrau (netzpolitik.org)
- Medien zu Feministischer Netzpolitik (Gunda-Werner-Institut)
- Podcast-Folge: Feminismus ist systemrelevant. Schwangerschaft im Ausnahmezustand (Gunda-Werner-Institut)
- Feministische Schwangerschaftsapp? Wissenschaft, Ehrlichkeit & Selbstbestimmung (Hauptstadtmutti)
- Von ›helfenden Händen‹ in Robotik und Krankenhaus : Zur Bedeutung einzelner Handgriffe in aktuellen Aushandlungen um Pflege. (2013), Käthe von Bose und Pat Treusch