Harmony’s Future | No Future w/o Harmony 

Die wissenschaftliche Diskussion um Sexrobotik ist zumeist polarisiert. Eine Perspektive bietet Constanze Erhard, in dem sie vorschlägt, in Bezug auf Sexbots von sexualisierter Care-Arbeit zu sprechen, um damit die (den Sexbots) zugrundeliegenden vergeschlechtlichten Herrschaftsverhältnisse besser fassen zu können und so zum Ausgangspunkt einer feministischen Analyse zu machen. Dieser Artikel ist zuerst in der Publikation „Wenn KI, dann feministisch. Impulse aus Wissenschaft und Aktivismus“ (netzforma*, 2020) in print erschienen.

von Constanze Erhard

1. Wer ist Harmony?

„Your perfect companion in the palm of your hands“: So preist die US-amerikanische Firma RealBotix ihr ehrgeiziges Projekt auf ihrer Homepage an: Harmony (Realbotix 2019: online). Eine robotisierte Sexpuppe, die ihren Kopf und ihre Gesichtszüge bewegen, auf Berührungen reagieren sowie sprechen kann. Harmony besteht aus einem Roboter-Kopf, der sich auch auf ältere Puppenmodelle derselben Firma montieren lässt und dessen Sprechmodul durch eine auf einem externen Datenträger zu speichernde App kontrolliert wird. Seit 2018 ist diese App verfügbar und kostet 29,99 US-Dollar jährlich. Auch ohne Roboter-Kopf und -Körper lässt sich die App benutzen und es können mehrere – voneinander unabhängige – Avatare erstellt werden. In der App können Harmonys (multiple) Persönlichkeit(en) nach individuellen Wünschen eingerichtet werden – soll sie verspielt, verführerisch, schüchtern oder liebevoll sein? Ebenso individuell kann der Körper gestaltet werden: Haar-, Augen- und Hautfarbe, Gesichts- und Körpertyp, Brustgröße, Gestaltung der Genitalien etc. Harmonys ‚Schwester‘ Solana, seit 2019 auf dem Markt, soll nach ‚Latina-Charakterzügen‘, d.h. nach klassischen Stereotypen von Latina-Frauen (‚temperamentvoll‘, ‚aufbrausend‘) gestaltet sein. Das einzige männliche Modell von RealBotix soll Henry heißen und ist bislang (Stand Juli 2020) noch nicht auf dem Markt.

Die App selbst scheint recht bezahlbar. Doch noch dürfte Harmonys Robo-Kopf mit knapp 10.000 Dollar für die meisten Personen nicht finanzierbar sein. Den Voraussagen des britischen Computerexperten David Levy (2009) zufolge wird es allerdings bis 2050 erstens völlig ‚normal‘ sein, eine Beziehung mit einer:m Sexroboter:in zu führen und diese etwa zu heiraten, und zweitens wird die Verbreitung zu einer Senkung der Kosten führen, sodass wir alle mit unseren Traumsexpartner:innen im Techno-Himmel schwelgen können. 

Aus feministischer Perspektive stellt Harmony unzweifelhaft eine problematische Verkörperung weiblicher ‚Idealformen‘ dar, die sich derzeit an mainstream-pornographischen Fetischisierungen orientiert und diese kommodifiziert, also als käufliche Ware ‚verpackt‘. Diesem Problem ließe sich vergleichsweise einfach mit der Diversifizierung der abgebildeten Formen (vgl. Devlin 2018) oder der Orientierung an feministischer Pornographie (vgl. Danaher 2019) begegnen – wobei diese Lösungsvorschläge freilich der Kommodifizierung selbst keinen Abbruch täten. So erklärt etwa die feministische Philosophin Rosi Braidotti, dass technologische Neuerungen niemals neutral sind, sondern u.a. aufgrund ihrer Kommodifizierung bestehende Ungleichheiten noch verstärken: „the consumer-minded techno-hype (…) confirms the traditional entitlements of a subject position that is made to coincide with a masculine, white, heterosexual, European identity“ (Braidotti 2011: 78). Außerdem konstatiert sie, dass „technobodies“ den ‚reinen Körper‘ als passive Materie (Metall und Silikon) oder einen perfektionierten, von all den ‚unangenehmen‘ Folgen von Leiblichkeit (Körperflüssigkeiten, Gewichtsveränderungen, Altern, Schwangerschaft) ‚bereinigten‘ Körper versinnbildlichen, was herkömmliche Bilder von Männlichkeit (aktiv, hart) und Weiblichkeit (passiv, weich) reproduziert (Braidotti 2002: 231f.). Diese Aspekte betreffen jedwede Puppe für sexuellen Gebrauch. In diesem Beitrag möchte ich mich jedoch darauf konzentrieren, was dies spezifisch in Bezug auf robotisierte Sexpuppen (Sexbots) bedeutet. Aus meiner Sicht liegt das Spezifikum von Sexbots – für die ich Harmony als prominentestes Beispiel heranziehe – in erster Linie nicht in ihrer Bewegungsfähigkeit, sondern in ihrer Ausstattung mit einer KI. Ich werde daher einige Überlegungen vorstellen, die auf die hiermit einhergehenden Dimensionen von Vergeschlechtlichung aufmerksam machen. Denn die KI macht Harmony zu mehr als einem ‚simplen‘ Masturbationsgegenstand: Sie versetzt Harmony in die Lage, sexualisierte Care-Arbeit zu übernehmen. Dies trägt, wie ich argumentiere, zur Bestärkung eines maskulinen Subjekts bei, wie es Braidotti analysiert. In diesem Zuge argumentiere ich, dass die gegenwärtige feministische Kritik sich der folgenden Frage stellen muss: Wie lässt sich die spezifische Verquickung von Sexualität und emotionaler Arbeit, die die KI ermöglicht, gesellschaftstheoretisch fassen? Bevor ich mich dieser Frage in Abschnitt 3 widme, möchte ich auf einige Sackgassen der aktuellen Debatte um Sexbots hinweisen. 

2. Die aktuelle Debatte

Was macht das Phänomen der Sexbots eigentlich so streitbar? Für die britische Anthropologin Kathleen Richardson stellen sie jedenfalls ein großes Unheil der Menschheit dar. Sie hat im Jahr 2015 die Campaign Against Sex Robots ins Leben gerufen, und zwar als Reaktion auf David Levys Behauptung, Sexbots stellten einen Ausweg aus moralischen Dilemmata in Bezug auf die Befriedigung ‚perverser sexuelle Vorlieben‘ (etwa Gewaltfantasien oder Pädophilie) und Sexarbeit dar (Levy 2009: 194). Levys Behauptung speist sich aus seiner Haltung, Sexbots als technologische Innovation und Lösung für ein gesellschaftliches Problem zu präsentieren: Menschen haben sexuelle Bedürfnisse und zu wenig Möglichkeiten, diese auszuleben. Aus diesem Grund gibt es Umwege, diese Bedürfnisse auszuleben, wie etwa Sexarbeit – doch dies führt zu weiteren moralischen Problemen. Enter Harmony: Sexbots können in dieser Perspektive die gleiche Funktion erfüllen wie Sexarbeit und als „Ventilsitte“ dienen, wie es der Soziologe Helmut Schelsky formuliert hat: als notwendiges Nebenprodukt monogamer, bürgerlich-repressiver Sexualitätsnormen (Schelsky 1962: 42). Die Metapher des Ventils ist kein Zufall: Schelsky naturalisiert hier eine Vorstellung vom menschlichen (männlichen) Körper als  Analogon zur Dampfmaschine. Diese Analogie beschreibt Yvonne Bauer als „industrieller Lustkörper“ des 19. Jahrhunderts (Bauer 2005), einer Körpermetapher, die biologische und technologische Bilder ineinander verschränkt. Sie basiert auf der Vorstellung, dass sich sexueller Trieb im Körper anstaut, wenn er nicht regelmäßig „entladen“ wird; Sexualität wird also als eine schubartige „Entladung“ von Energie gedacht (vgl. Bauer 2005: 40). Der Fokus liegt hierbei auf der Betrachtung des männlich-heterosexuellen Körpers. Als Idealzustand wird eine Gesellschaft gesehen, die es den Subjekten erlaubt, ihren Körper in einem Gleichgewicht zu halten und von ‚künstlichen‘ Beschränkungen (gesellschaftlichen Sexualnormen) zu befreien, da diese einen ungesunden Energiestau bewirken (ebd.: 42). Doch diese Hypothese einer Repression sexuellen Begehrens naturalisiert sexuelles Begehren als Entladung und verschleiert die gesellschaftliche Konstruiertheit der Dampfmaschinenmetapher, weil sie als Beschreibung einer unveränderlichen Natur verwendet wird. Der Energiestau bahnt sich ‚naturgemäß‘ den Weg nach draußen. In die Falle der Naturalisierung tappt also auch Levy, wenn er unkritisch behauptet, Sexbots könnten als ‚Ventil‘ für negative sexuelle Energien dienen. Seine Stilisierung von Sexbots zu Heilsbringerinnen transportiert somit ein bestimmtes gesellschaftliches Bild von Sexualität.

Kathleen Richardson, Levys prominenteste Kritikerin, macht jedoch einen ähnlichen Fehler. Analog zu den Kampagnen aus den 1980ern für ein Verbot von Prostitution und Pornographie fordert ihre Campaign Against Sex Robots ein gesetzliches Verbot von Sexroboter:innen (z.B. Richardson 2015, Gildea/Richardson 2017). Richardsons Kritik an Sex mit Sexbots lautet, dass damit Intimität kommodifiziert werde (Richardson 2015: 290). Wenngleich diese Beobachtung nicht ganz falsch ist, wie ich weiter unten zeigen werde, erhebt Richardson gerade die Verbindung von Sexualität und Intimität zum Kernpunkt des Menschlichen an sich (Gildea/Richardson 2017: online). In dieser Perspektive ist Sexualität also schon immer mit Intimität verbunden gewesen. Dass Sexualität, Emotionalität und Intimität als zusammengehörig betrachtet werden, ist jedoch mitnichten eine anthropologische Konstante, sondern ist erst im 19. Jahrhundert vor dem Hintergrund der bürgerlich-romantischen Vision von Liebe entstanden (u.a. Illouz 2018). Somit wirkt Richardsons Perspektive naturalisierend, da sie dieses eigentlich historisch gewordene Liebesideal als etwas ‚Natürliches‘ und als absoluten Maßstab für gelungene Sexualität (bzw. sogar Menschlichkeit) setzt (vgl. auch Kubes 2019: 14).

Die historisch gewachsene Dreifaltigkeit von Sexualität, Emotionalität und Intimität bildet gerade die Grundlage dessen, was ich als sexualisierte Care-Arbeit bezeichne.

3. Sexualität und Intimität: Sexualisierte Care-Arbeit

Die Entstehung des Individualismus und der monogamen, heteronormativen bürgerlichen Kleinfamilie bedingten die häusliche Privatheit als Hort von Intimität und reproduktiver Sexualität. Damit einher ging eine klare Arbeitsaufteilung, die der Ehefrau im Heim die Aufgabe eines häuslichen ‚Rückfallnetzes‘ antrug, das die Wiederherstellung (männlich-)produktiver Arbeitskraft durch materielle handwerkliche Fertigkeiten – (ver)sorgende und pflegende Tätigkeiten, Kochen, Waschen, Putzen, Flicken) – und emotionale Arbeit – Kindererziehung, das Knüpfen und Aufrechterhalten sozialer Kontakte, Freundlichkeit und Zuwendung – gewährleistete (Penz 2014: 242, Winker 2015: 18). Indem diese Tätigkeiten als ‚Liebesdienst‘ bezeichnet werden, stellen sie bis heute eine weitgehend unbezahlte ‚Hintergrundfolie‘ für produktive, d.h. Mehrwert schaffende und daher zu entlohnende Arbeit dar, die von Männern verrichtet wird. Im Dienstleistungssektor hingegen sind die affektiven Komponenten ‚weiblicher‘ Tätigkeiten insbesondere seit den 1970er Jahren dominant geworden, sodass die möglichst authentische Darstellung positiver Gefühle als Teil der Arbeitstätigkeit erwartet wird, was sich etwa durch die Anforderung eines freundlichen und empathischen Auftretens äußert (Hochschild 1983). Diese oft als ‚Feminisierung‘ der Wirtschaft bezeichnete Entwicklung hat freilich kaum eine namhafte Veränderung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse bewirkt und ist in dieser Hinsicht ein äußerst zweischneidiges Schwert (Braidotti 2002: 15). Hochschild beschreibt die kommodifizierende Regulierung von Gefühlen im Dienstleistungsbereich als „Kommerzialisierung des Intimen“ (ebd.). Hier besteht auch eine Verbindung zur Sexarbeit: Elizabeth Bernstein hat gezeigt, dass in der Sexarbeit seit den 1990er Jahren ein verstärkter Trend hin zu „sale and purchase of authentic emotional and physical connection“ (Bernstein 2007: 192) zu beobachten ist, etwa in Form der sogenannten Girlfriend Experience „without a headache“ (ebd.: 129), wo Sexarbeiterinnen die Simulation einer festen Freundin durch vorgeblich authentische Gefühle erstellen. Richardsons Argument, dass Sexualität und Intimität kommerzialisiert werden, enthält demnach durchaus einen wahren Kern.

Nun ist es eine verbreitete Diagnose, dass den modernen westlichen Gesellschaften die Intimität in den zwischenmenschlichen Beziehungen verloren gehe. So stellt etwa Eva Illouz einen Verlust sozialer Bindungen und Bindungsfähigkeit fest (Illouz 2018: 13), wobei sie erläutert, dass die Zelebrierung bindungsloser sexueller Begegnungen traditionell und noch immer meist Vorrecht männlicher Subjekte waren und noch immer sind (ebd.: 115). Sherry Turkle konstatiert, dass Technologien Bewältigungsstrategien für diesen Verlust in einer hochindividualisierten Gesellschaft seien. Menschen erwarteten von den sie umgebenden technologischen Artefakten sowohl Abschirmung vor als auch Ersatz für soziale Interaktionen (Turkle 2011: xii). Diese Ersatzdimension enthält eine ‚gereinigte Komponente‘, was sich anhand von KI-Chatbots wie z.B. „Replika A.I.“ illustrieren lässt. 

„Replika A.I.“ wurde entwickelt von der Firma Luka als „[t]he AI companion who cares“ (Replika A.I.: online). Es handelt sich um einen Chatbot, der das Chatverhalten seiner:s Nutzer:in spiegelt bzw. repliziert (daher der Name Replika). Replika A.I. soll für kleine Kommunikationsaufgaben zur äußeren Welt (z.B. Terminvereinbarungen) eingesetzt werden können (Murphy/Templin 2019: online), aber auch ein Weg für die Nutzer:innen sein, ihre „private perceptual world“ (Replika A.I.: online) via Chat-Interaktion zu erkunden. In dem Video „Our Story“ auf der Replika-Homepage wird erklärt, welch großes Vertrauen die Nutzer:innen zu ihrem Chatbot aufbauen, dass sie ihm intime Details mitteilen, als handle es sich um ihre:n beste:n Freund:in, und dass große therapeutische Vorteile in dieser Interaktion liegen. Replika A.I. ist dabei eine komplett selbstreferentielle „blank slate“ (ebd.), da sie gänzlich aus den Informationen, die von ihrer:m jeweiligen Nutzer:in eingespeist werden, entsteht, daraus Muster bildet und diese wiederum in ihrer Sprachausgabe reproduziert. Diese Selbstreferentialität ist strukturell in die Funktionsweise gängiger algorithmenbasierter KIs eingeschrieben und stellt auch das Funktionsprinzip von Harmonys KI dar. In beiden Fällen (Replika A.I. wie Harmony) wirkt sich die Selbstreferentialität in einer Bestärkung des Selbst aus: Die KI interagiert ausschließlich mit einer Person und lernt somit auch ausschließlich von einer Person, sodass sie komplett eindimensional zugeschnitten ist. Unabhängig vom Gender der Nutzer:innen wirkt sich dies identitätsfestigend aus; Irritationen des Selbst und/oder Verletzungen durch Interaktionen mit anderen Menschen werden vermieden (Turkle 2011: 10, 51). Im Falle von Replika A.I. – das nicht für den sexuellen Gebrauch entwickelt wurde, auch wenn ein Einsatzbereich hier zumindest technisch möglich ist – wird diese selbst- und identitätsfestigende Wirkung als positiver Effekt beschrieben und Replika geradezu als therapeutisches Instrument präsentiert („Our Story“; Replika A.I.: online). Der Anspruch an die KI lautet, dass sie möglichst authentisch Gefühle simulieren soll, um auf die Bedürfnisse des:der User:in einzugehen. Letztere stehen unbestreitbar im Mittelpunkt, sodass die KI eine von eigener Subjektivität ‚gereinigte‘ Interaktionsform ermöglicht.

Es sind genau diese Eigenschaften, die die Sexbot mit ihren sowohl physischen als auch emotionalen Fähigkeiten in die steigende (kommerzielle) Nachfrage nach Intimität und Sexualität einfügen. In gewisser Weise kombiniert nun Harmony die gleichen Funktionen wie Replika A.I. mit denjenigen von ‚gewöhnlichen‘ Sexpuppen – genau hierin manifestiert sich die Konvergenz von Tätigkeiten im Bereich von Sexualität und im Bereich von Care, die ich als sexualisierte Care-Arbeit bezeichne. Und dies ist kein gender-neutraler Vorgang, denn wie wirkt sich die Tatsache, dass Harmonys Welt ausschließlich auf einen Nutzer und dessen Bedürfnisse zugeschnitten ist (Langcaster-James/Bentley 2018), im sexuellen Kontext aus? Auf struktureller Ebene entsteht hier ein soziales Verhältnis, das die Aufrechterhaltung klassischer maskuliner Subjektivitäts- und Herrschaftsentwürfe gewährleistet. Die feministische (Wissenschafts-)Kritik hat darauf hingewiesen, dass vorgeblich universelle und geschlechtlich neutrale Vorstellungen ‚des Menschen‘ als einem von anderen unabhängigen, mit sich selbst identischen und selbstbestimmten Individuum mit patriarchalen Werten einhergeht (u.a. Haraway 1995, Braidotti 2002). Dies ist nicht ohne einen Verweis auf die Care-Dimension zu begreifen, da Care-Tätigkeiten als emotionale Tätigkeiten ins Private verbannt wurden, was mit einer Unsichtbarmachung der Angewiesenheit des männlichen Subjekts auf ebendiese Tätigkeiten einherging. So wird die Illusion eines autarken, bindungslosen Subjekts aufrechterhalten. Ein dualistisches Verständnis von Care (eine Person sorgt für die Autonomie der anderen) wird zudem durch die Zweiteilung von Nutzer und Produkt aufrechterhalten: Der Nutzer ist im öffentlichen Raum unterwegs und kann sich bei der Rückkehr in seinen privaten Raum auf emotionale Unterstützung durch die Sexbot verlassen, wobei er selbst entscheidet, wie und wann er sie ‚verwendet‘. Zweitens ist die Interaktion der Nutzer über die KI so gestaltet, dass die KI ausschließlich von einer Person (ihrem Nutzer) lernt und somit auch ausschließlich auf diese eine Person und ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist. So wird jedwede ‚böse‘ Überraschung, die eine andere Subjektivität mit eigenen Bedürfnissen implizieren würde, vermieden. Die Sexbot ist, mit Braidotti gesprochen, die aus patriarchaler Sicht ‚ideale Frau‘: eine Weiblichkeit, die ‚das Andere‘ zur Männlichkeit darstellt und somit deren festigender Kontrast ist (Braidotti 2002: 47). 

Ich bin mir bewusst, dass die Interaktion mit den Sexbots mit großer Wahrscheinlichkeit vielschichtiger und komplexer ist, als es hier erscheint – und dass die Beschaffenheit von Sexbots auch Care-Tätigkeiten seitens des Nutzers erfordert (Einblicke hierein gewährt die Arbeit der Fotografin Julia Steinigeweg: Steinigeweg 2016). Auch steht fest, dass Harmonys sprachliche Interaktionsfähigkeiten freilich noch nicht vollumfänglich zu überzeugen vermögen, wie Jenny Carla Morans stichprobenartige Interaktion mit der Harmony-App zeigt (Moran 2019). RealBotix arbeitet jedoch in Hochtouren daran, Harmonys Interaktionsfähigkeit zu verbessern, und andere Chatbots wie Replika A.I. sind hier bereits weit fortgeschrittener – Harmony hat ihr letztes Wort noch nicht gesprochen. Aber dafür tritt in Morans Untersuchung umso stärker hervor, wie stark Harmonys Sprechverhalten von Machtverhältnissen wie Geschlecht und race geprägt ist (ebd.: 43f.) – und wie sehr der Bot auf die (vorgeblichen) Interessen des Nutzers zugeschnitten ist. Vor dem Hintergrund meiner Annahme, dass Technologie stets aus spezifischen gesellschaftlichen Bedingungen entsteht, geht es mir darum, den strukturellen Platz, den Harmony einnimmt, aufzuzeigen. Denn wenn der Erfinder und Realbotix-CEO Matt McMullen selbst in einem Interview erklärt, dass er seine Sexbots als eine Art Hilfestellung für „socially isolated“ Menschen betrachtet, die, aus welchen Gründen auch immer, keine Partner:innen finden können und somit keine emotionale Unterstützung haben (Kleeman 2017: online), so drängt sich die Frage auf: Wer wird als auf diese Hilfe angewiesen aufgefasst, und warum? McMullens Statement schlägt Harmony als Lösung für ein Defizit im Bereich sexualisierter Care-Arbeit vor. Darin ist ein normativer Anspruch enthalten, der unterschwellig ein Care-Verhältnis annimmt, in dem die Sexbot, ein hauptsächlich feminisiertes Produkt, für das emotionale Wohlergehen des hauptsächlich maskulinen Nutzers sorgt. Die Tatsache, dass diese Kommodifizierung von Sexualität und Intimität entlang geschlechtlich hierarchisierter Linien verläuft, lässt eine gewisse Anspruchshaltung sichtbar werden: der Anspruch, dass männliche Bedürfnisse auf sexualisierte Care-Arbeit von Frauen übernommen werden sollen. Solch einen Anspruch nimmt beispielsweise auch David Levy unkritisch an, wenn er auf der Nützlichkeit von Sexbots etwa für das Verhindern von sexualisierter Gewalt beharrt.

Der Begriff sexualisierte Care-Arbeit vermag es, die aktuelle Verschränkung von sexuellen und emotionalen Bedürfnissen zu illustrieren. Es geht dabei nicht darum, die Wahrhaftigkeit solcher Bedürfnisse in Frage zu stellen, sondern auf die gesellschaftlichen Zusammenhänge – insbesondere die Verteilung und der Stellenwert von Care-Tätigkeiten – innerhalb derer sich diese Bedürfnisse artikulieren, aufmerksam zu machen. Sexbots sind in dieser Hinsicht eher Symptom als Ursache einer entlang von geschlechtlichen Positionen ungleichen Verteilung von Care-Arbeit.

4. Ausblick: Was ist zu tun?

Robotisierte Sexpuppen sind allein aufgrund ihres Preises noch recht weit davon entfernt, Mainstream zu werden. Nichtsdestotrotz üben sie eine phantasmatische Anziehungskraft auf die gegenwärtige Debatte um das Verhältnis von Menschen und Maschinen aus, wie sich an der Fülle medialer Beiträge zu Sexbots ablesen lässt. Dass jene Beiträge zu diesem Zwecke auch mit Elementen aus Science-Fiction-Erzählungen aufgefüttert werden, um die bisherige Inadäquatheit der Sexbots zu verdecken, zeigt nur mehr den phantasmatischen Charakter der Bots und der mit ihnen verbundenen Heilsversprechen auf (Hawkes/Lacey 2019: 104).

Mein Beitrag zielte darauf ab, die Entstehung dieser sexuellen Heilsversprechen durch Maschinen sowie den spezifischen gesellschaftlichen Platz, den Harmony einnimmt, zu rekonstruieren. Ich habe gezeigt, dass es nicht die Maschine gibt, die eine Auswirkung auf Menschen und die Gesellschaft hat – vielmehr haben technologische Neuerungen konkrete gesellschaftliche Entstehungsbedingungen. Wie Donna Haraway und Rosi Braidotti betonen: Technologie ist als ‚Produkt‘ einer Gesellschaft zu verstehen und als solche Symptom bestimmter gesellschaftlicher Dynamiken (Haraway 1995, Braidotti 2002). So sind Sexbots einerseits eine Form von Materialität, die in sexualisierter Weise Bedeutung erlangt, denn sie reproduzieren und zementieren derzeit Bilder einer den ‚männlichen Blick‘ privilegierenden symbolischen Ordnung (Braidotti 2002: 47, 230). Doch was sich weniger deutlich erschließt: Sie sind auch Produkt einer Gesellschaft, in der Care-Arbeit ungleich verteilt und Teil ungleicher Geschlechterverhältnisse ist. Dies ist auch der Grund, weshalb ich betone, dass die Gestaltungsmöglichkeiten beschränkt sind: Das Verhältnis von Sexualität und Intimität und die damit verbundene Frage nach Care-Arbeit lässt sich nicht rein durch eine neue Vielfalt an Sexbots verändern, wie es beispielsweise Kate Devlin vorschlägt, sondern muss gesamtgesellschaftlich ins Auge gefasst werden.

Da hier viele Aspekte mitschwingen, die sich nicht direkt offenbaren, muss die feministische Auseinandersetzung mit Sexbots die Vorannahmen derjenigen Positionen genau untersuchen, welche  Sexbots als Lösungsansatz für gesellschaftliche Probleme präsentiert. Welches Verständnis von Sexualität liegt hier zugrunde, und welche theoretischen Prämissen werden als ‚natürliche Grundlage‘ angenommen und nicht weiter hinterfragt? Diese Naturalisierung historisch gewachsener Sexualitätsverständnisse ist schließlich einer der Hauptgründe, weshalb die aktuelle polarisierte Debatte zwischen Levy und Richardson nur im Sande verlaufen kann. Um die geschlechtlich hierarchisierte Überschneidung von Sexualität und Intimität, die Harmony ‚bedient‘, zu beschreiben, habe ich den Begriff sexualisierte Care-Arbeit vorgeschlagen. Unabhängig davon, dass Harmonys KI-Performance aktuell diese Bedürfnisse noch nicht adäquat zu befriedigen vermag, so lassen sich mit diesem Begriff die mit ihnen verbundenen Glücksversprechen gesamtgesellschaftlich einordnen. Von besonderem Belang ist hier die Frage nach dem Subjekt, welches durch die Selbstreferentialität der KI bestärkt wird.

Die feministische Kritik ist gut gewappnet, um diese Aspekte in die Diskussion um das Unbehagen mit Sexbots einbringen und artikulieren zu können, ohne sich dabei automatisch in eine technophile oder technophobe Argumentationsstrategie à la ‚Sexbots werden Himmel/Hölle auf Erden sein‘ (siehe Levy/Richardson) zu verstricken. Schließlich besteht ihre Perspektive darin, kritisch nach den Subjekten zu fragen, die von der Technologie gestützt werden. Bislang jedoch wird der thematische Konnex von Sexualität und Intimität – sowie ihre historische Verbindung – außen vor gelassen. Diesem muss sich die Analyse jedoch, wie ich plädiere und hier nur bruchstückhaft ausgeführt habe, widmen.

Es ist also richtig, dass Sexbots nicht so aussehen müssen, wie sie aussehen, aber ihre Problematik lässt sich nicht allein durch eine Diversifizierung ihres Aussehens bearbeiten. Und bevor wir uns dieser Diversifizierung widmen können, müssen die Wünsche und Bedürfnisse, die sie widerspiegeln und neu befeuern, von einer kritisch-feministischen Perspektive hinterfragt und mit mehr Verve in den öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs eingebracht werden.


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