Für sichere Schwangerschaftsabbrüche spielt das Internet seit langer Zeit schon eine wichtige Rolle – nicht nur können hier umfassende Informationen gefunden und abgerufen werden –, sie ermöglichen auch den Zugang zu sicheren Abtreibungen. Dabei geht die einfache Gleichung aus Digitalisierung und sicherer Abtreibung nicht reibungslos auf, vielmehr mischen sich in diese nicht nur die bekannten Abtreibungsgegner*innen ein. Auch große Tech-Unternehmen erschweren durch ihre permanente Suchmaschinenoptimierung den Zugang zu sicheren Informationen rund um Abtreibungen.
von Women on Web
Illustrationen: Lucie Langston
Als die Ärztin Rebecca Gomperts die NGO Women on Web vor 17 Jahren gründete, war das Internet noch ein anderer Ort. Es bot die perfekte Plattform, um die Welt der Abtreibungsversorgung auf den Kopf zu stellen. In ihrem Fall erfüllte es tatsächlich die Hoffnung auf einen freien Ort der Möglichkeiten, den damals so viele im Angesicht der sich rasch verändernden Technologie erwarteten. Mit ihrem anarchistischen Geist bahnte Rebecca neue Wege, sie umging geschickt die Regeln dutzender Länder – eine Art der Revolution. Denn Women on Web war 2005 der erste internationale Anbieter für telemedizinische Abtreibungen. Ungewollt schwangere Menschen, darunter viele aus Ländern mit restriktiven Abtreibungsgesetzen, konnten und können bis heute nach einer Hilfsanfrage auf der Internetseite Abtreibungsmedikamente nach Hause erhalten und die Abtreibung sicher in selbst gewählter Umgebung vornehmen. Begleitet werden sie dabei von Anfang bis Ende per E-Mail.
Abtreibung + Internet = Selbstbestimmung ?
Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Suchmaschinenoptimierung war die erste Internetseite von Women on Web das pure Chaos, sie war eine Art unzusammenhängendes Notizbuch von Rebecca, bestehend aus einer eklektischen Mischung von Texten und Bildern. Aber es funktionierte. Women on Web machte damit selbstbestimmte medikamentöse Abtreibungen, die zu dieser Zeit noch viel mehr als heute polarisierten und von der allgemeinen Öffentlichkeit und auch unter medizinischem Personal kontrovers diskutiert wurden, kurzerhand für Menschen auf der ganzen Welt zugänglich. Rebecca gab die Informationen und die Pillen zurück in die Hände derer, die sie nutzten und stellte damit die bestehenden Machtverhältnisse und die Autorität der Ärzt*innenschaft in Frage, die die Informationen bisher bewusst oder unbewusst zurückhielten.
Heute haben sich die Bedingungen unserer Arbeit stark verändert. Zwar nutzen immer mehr, gerade auch junge Menschen Onlineangebote im medizinischen Bereich und auch die Pandemie hat den Bedarf an telemedizinischen Abtreibungen in die Höhe schießen lassen. Doch die Versorgungslage gestaltet sich mühsam. Die Variable mit dem größten Einfluss auf unsere Tätigkeit heute ist ein Algorithmus. Das Unternehmen Google beispielsweise führt regelmäßig sogenannte Core Updates aus, mit dem Ziel, Suchergebnisse zu präzisieren oder etwa Fehlinformationen zu Covid einzudämmen. Im Mai 2020, kurz nach Beginn der Pandemie, fand ein solches Update statt. Innerhalb von 48 Stunden brach die Zahl der Seitenbesucher*innen um 75% ein. Tausende Menschen, die mehr denn je auf unsere Hilfe angewiesen waren, konnten uns online nicht mehr finden. Bis heute haben sich die Zahlen nur wenig gebessert.
Abtreibungsgegner: Big Tech’s Algorithmen
Deutlich wird, dass es nicht nur die klassischen Abtreibungsgegner*innen sind, die in der Politik, mit fundamentalistischen Auftritten vor Kliniken oder mit Webseiten, auf denen Fehlinformationen vertrieben werden, den Zugang zu Informationen und sicherer Abtreibungsversorgung von unzähligen Menschen auf der ganzen Welt massiv erschweren, sondern auch die vermeintlich progressiven Tech-Unternehmen. Begründet wird jegliche Veränderung durch die Unternehmen damit, dass die Suchergebnisse stetig verbessert würden. Doch im Bereich sexueller und reproduktiver Gesundheit scheitern sie damit kläglich. Ein gutes Beispiel ist eine polnische Scam-Website. Sie besteht zum Teil aus Wort für Wort von unserer Website kopierten Inhalten und wird zuverlässig als Top-Suchergebnis angezeigt. Verzweifelte ungewollt schwangere Menschen werden erst zu einer Zahlung in Bitcoin aufgefordert und später auf unsere Website weitergeleitet. Die von Google verwendeten Kriterien von Expertise und Vertrauenswürdigkeit greifen offensichtlich nicht. Das Suchergebnis ist nicht nur irrelevant, sondern behindert sogar den dringend notwendigen Zugang zu Abtreibungsmedikamenten sowohl zeitlich als auch finanziell.
Die (digitale) Zukunft telemedizinischer Schwangerschaftsabbrüche
Nach der Pionierarbeit, die feministische Organisationen, Ärzt*innen und Forscher*innen jahrelang geleistet haben, empfiehlt selbst die Weltgesundheitsorganisation mit ihren aktuellen Richtlinien zu sogenannten “self-managed abortions”, also sicheren Abtreibungen ohne physischen Kontakt zu medizinischem Personal, die Arbeitsweise von Women on Web. Es ist der Algorithmus, der den aktuellen Entwicklungen von Telemedizin weit hinterher hinkt. Nicht nur Women on Web, sondern viele Organisationen, die zu sexueller und reproduktiver Gesundheit arbeiten, navigieren unter diesen erschwerten Bedingungen. Um dem geeint zu begegnen hat Women on Web gemeinsam mit Women First Digital weitere Organisationen und Akteur*innen versammelt. Gemeinsam wurden Lösungsansätze formuliert, die im Laufe des Jahres veröffentlicht werden. Denn es braucht dringend Transparenz zu Content Moderation und Google Algorithmus Updates im Gesundheitsbereich, Maßnahmen gegen Fehlinformationen zu Abtreibungen sowie bessere Kriterien zur Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit von Websites und Organisationen.
Auch nach 17 Jahren kämpft Women on Web weiter für den einfachen Zugang zu Abtreibungsmedikamenten, auch wenn sich dieser Kampf stetig verändert. Denn wir vertrauen den Frauen und schwangeren Menschen und wir vertrauen den Pillen.