Die Digitalisierung könnte die Geburtshilfe erleichtern, doch es mangelt an einem politisch einheitlichem Konzept und der Erkenntnis, dass es nicht reicht, Technologie ohne jene zu gestalten, die später damit arbeiten werden.
von Luisa Strunk
Die fortschreitende Digitalisierung im Gesundheitswesen, umschließt neben vielen anderen Bereichen auch den geburtshilflichen Sektor. Neben Ärzt*innen, Gesundheits- und Krankenpfleger*innen und anderen Berufsgruppen, müssen sich auch Hebammen zunehmend den veränderten Anforderungen an ihre Arbeit stellen. Das im Jahr 2015 verabschiedete E-Health-Gesetz1 stellte die Weichen für den Aufbau einer digitalen Infrastruktur im Gesundheitswesen und bildet seitdem den Rahmen für folgende Gesetzgebungen von denen auch der Hebammenalltag maßgeblich beeinflusst wird. Galt die Hebammenarbeit einst als traditionelles Handwerk, beinhaltet die Berufsbeschreibung mittlerweile weit mehr als die Reproduktion routinemäßiger Handgriffe und erfordert eine kontinuierliche Fortbildung der Digital- und Datenschutzkompetenz.
Digitalisierungsschub im Hebammenalltag
Die meisten Hebammen nutzen bereits digitale Dienste für ihre Arbeit. Vor 2020 vor allem für bürokratische Belange wie Abrechnung, Dokumentation und Qualitätssicherung. Auch Kommunikation mit den betreuten Familien findet zunehmend unkompliziert über soziale Messengerdienste statt. Schnell abends ein Foto vom Ausschlag des Neugeborenen per WhatsApp an die Hebamme geschickt, eine kurze Sprachnachricht hinterher und im besten Fall kann direkt geholfen werden. Doch auch wenn der Gebrauch von privat meist sowieso genutzten Messengern eine barrierearme Ergänzung zur regulären Betreuung von Familien ist, so ist sie datenschutzrechtlich höchst bedenklich. Messengerdienste, welche keine Metadaten speichern, sind hier die bessere Alternative, allerdings bisher kaum verbreitet.
Durch die Corona-Pandemie und die plötzliche Notwendigkeit, Alternativen zur aufsuchenden Betreuung von Familien zu schaffen, erhielt der Digitalisierungsprozess einen kräftigen Aufschwung. Es sind kurzfristig gut zugängliche und niedrigschwellige Angebote entstanden, die Schwangeren und Eltern die Möglichkeit bieten, an ihre individuellen Bedürfnisse angepasste Gesundheitsleistungen wahrzunehmen. Für Hebammen kann dies Entlastung und Möglichkeiten der Spezialisierung schaffen, weil sie Beratungen örtlich ungebunden durchführen und mehr Nutzer*innen mit ihren Angeboten ansprechen können. Ein Geburtsvorbereitungskurs für Zwillingseltern beispielsweise, der in einer Kleinstadt aufgrund zu geringer Nachfrage nicht durchgeführt werden könnte, stößt als Online-Kurs auf reges Interesse.
Eletronische Patient*innenakte (ePA)
Mittlerweile gehören digitale Beratungen und Online-Kurse zum Repertoire etlicher Hebammen und die Digitalisierung wird durch den Ausbau einer Telematikinfrastruktur (TI) zunehmend gefördert. Seit Januar 2022 ist der digitale Mutterpass Teil der elektronischen Patientenakte (ePA) und kann von Schwangeren als Alternative zum gedruckten Mutterpass gewählt werden. Die Dokumentation der erhobenen medizinischen Daten erfolgt gebündelt und ist innerhalb der TI digital abrufbar. So sind relevante medizinische Befunde – zumindest in der Theorie – für alle an der Betreuung schwangerer Personen beteiligten Gesundheitsprofessionen einsehbar, die Zugriffserlaubnis erfolgt durch den*die Inhaber*in des Mutterpasses. Hierdurch kann eine individuelle Versorgung auf Basis fachübergreifender Informationen ermöglicht und die interdisziplinäre Zusammenarbeit erleichtert werden.
Neben der Professionalisierung und Strukturierung der Arbeit mit Klient*innen, soll die ePA Hebammen auch eine einfache und schnelle Abrechnung mit den Krankenkassen ermöglichen. Im Vergleich zum derzeitigen Prozedere, bei dem für jede erbrachte Leistung eine Unterschrift eingeholt und postalisch an die Krankenkasse geschickt werden muss, stellt dies eine riesige Entlastung dar.
Simple Digitalisierung?
So simpel und sinnvoll der digitale Mutterpass klingt, so groß sind die Hürden bei dessen Einführung. Aktuell haben viele Ärzt*innen und vor allem Hebammen keine Möglichkeit, auf die ePA und damit den digitalen Mutterpass zuzugreifen, da sie nur unzureichend an die TI angebunden sind. Ein mobiles System zur Dokumentation wird voraussichtlich erst 2023 verfügbar sein – eine Dokumentation bei Hausbesuchen ist also bisher nicht möglich. Auch in Notfällen oder im Ausland zeigen sich Schwachstellen der papierlosen Dokumentation, da hier ein schneller Zugriff umständlich ist oder aufgrund nicht kompatibler Software schlicht nicht funktioniert. Damit sich der digitale Mutterpass positiv auf die Versorgung von Schwangeren auswirkt, muss an diesen Stellen dringend nachgebessert und Hebammen und anderes medizinisches Personal aktiv in die TI integriert werden.
Die Digitalisierung des Gesundheitswesens schreitet voran und hat das Potenzial, eine bedarfsorientierte, individuelle und interdisziplinäre Versorgung von Schwangeren und Eltern zu unterstützen. Bevor digitale Leistungen jedoch erfolgreich und sicher angeboten werden können, müssen Hebammen sich in Digital- und Datenschutzkompetenz fortbilden, technische Ausstattung anschaffen und Anträge für Kostenübernahmen stellen. In der aktuellen Situation akuten Hebammenmangels ist dies äußerst kritisch, denn hierfür investierte Zeit und Energie fehlt schlussendlich bei den Klient*innen und ihren Familien.
Hebammensensible digitale Infrastruktur
Im Rauschen des Fortschritts darf die Digitalisierungspolitik nicht die besonderen Herausforderungen vergessen, mit denen Angehörige der Gesundheitsberufe umgehen müssen und sollte ein besonderes Augenmerk auf deren begrenzte Ressourcen haben. Um weiterhin Teil an der Versorgung von Schwangeren und Eltern zu haben, müssen Hebammen in Zukunft beim Ausbau der Telematikinfrastruktur besser mitgedacht werden. Indem Hebammenvertreter*innen in politische Entscheidungen miteinbezogen werden, könnte die Praktikabilität von Digitalisierungsmaßnahmen verbessert und Schwachstellen, wie bspw. die genannten Zugriffsschwierigkeiten auf den digitalen Mutterpass, vermieden werden. Beschlossene Maßnahmen und Unterstützungsangebote sollten dem Fachpersonal im Rahmen von Fortbildungen und Schulungen nähergebracht werden, um potenzielle Hemmungen beim Umgang mit digitalen Hilfsmitteln abzubauen. Auch eine vorschießende Kostenübernahme für technische Hilfsmittel und Software durch die GKV würde Hebammen finanziell entlasten und sich somit unterstützend auf den Digitalisierungsprozess auswirken.
Damit Digitalisierung im Gesundheitswesen kein idealistisches Konzept bleibt, ist es notwendig Expert*innen aus Gesundheitspolitik, Digitalpolitik und den Fachberufen am Entscheidungstisch zusammenzubringen. Nur so können gemeinsam Konzepte entwickelt werden, die eine nachhaltige Verbesserung der Patient*innenversorgung erwirken.
Fußnoten
- BGBl. T I Nr. 54, 2015