Transparenz für Mehr Selbstbestimmung.

Hürden Sozialer Medien für Hebammenstreik und Sexuelle Aufklärung

Soziale Medien bestimmen mit ihren Bilderverboten den Diskurs um Schwangerschaft und Geburt maßgeblich mit. Sie helfen damit aber nicht denen die Gebären, sondern prägen das Bild verbotener weiblicher Sexualität. Sexuelle Aufklärungsarbeit ist dringend nötig, Online-Angebote könnten dabei helfen.

von Francesca Orru

Illustration: Lucie Langston

Hebamme sein: die Begleitung auf dem Weg Eltern zu werden, eine vertrauensbasierte Eins-zu-eins-Betreuung, die Unterstützung einer selbstbestimmten  Geburt, bedarfsgerechte gesundheitliche Versorgung, Ressourcen-stärkend handeln, seelische und soziale Bedürfnisse berücksichtigen.

Davon träume ich oft, wenn ich von einer Schicht aus dem Kreißsaal komme. Natürlich sieht nicht jede Schicht so aus, aber die Realität ist häufig brutal: überlastetes Personal, Unterbesetzung, nicht genügend Zeit für die Frauen*1, nicht genügend Zeit für  Praxisanleitungen von Auszubildenden und Studierenden, traumatische Geburten, Gewalt in der Geburtshilfe.

Immer mehr Kreißsäle werden in Deutschland geschlossen, seit 1991 gab es einen Rückgang von rund 40%. Einer der Gründe dafür ist der Mangel an Hebammen, ein anderer ist der finanzielle Aspekt. Kreißsäle erbringen den Kliniken kaum Einnahmen und sind wenig rentabel. Seit der in 2004 in Kraft getretenen DRG-Einführung (Diagnosis-related-groups)2, der sogenannten Fallpauschale, verstärkt sich der Druck auf die Kliniken, wirtschaftlich zu handeln. Ökonomische Logik als Maß der Dinge. Für den geburtshilflichen Sektor ist dies gravierend, denn ein natürlicher Geburtsverlauf nimmt viel Zeit in Anspruch, verlangt aber wenig bis keine technischen Interventionen und ist somit für die Kliniken nicht profitabel. 

Vernetzen und Streiken im digitalen Raum

Der Hebammenstreik ist das Resultat einer jahrzehntelangen politischen Vernachlässigung bei der geburtshilflichen medizinischen Versorgung. Hebammen sind kaum Teil des Diskurses und viele wollen nicht länger unter den aufgezwungenen und überholten Krankenhausstandards, die gegen ihren Berufsethos gehen, arbeiten. Dies hat zur Folge, dass ein Großteil der Hebammen dem Klinikalltag den Rücken kehrt und einen neuen Weg in Richtung Selbstständigkeit geht oder sich beruflich umorientiert. 

Der Hebammenstreik ist der Aufschrei nach Hilfe. Vor etwa einem Jahr, im September 2021, fingen die Hebammen zusammen mit den Pfleger*innen in Berlin an, zu streiken. Nach zwei Jahren akuter Pandemie-Zeit, in der allen klar wurde, wie wichtig ein personell gut aufgestelltes Gesundheitssystem ist, nach zwei Jahren extremer Überlastung, gingen sie auf die Straße. Durch Vernetzung und Organisation über digitale Plattformen und durch die Unterstützung von Verdi entstand ein landesweiter Streik mit der Forderung nach vor allem verbesserten  Arbeitsbedingungen, die eine angemessene Patient*innenversorgung ermöglichen. Eine Betreuung, die jede*r von uns früher oder später einmal in Anspruch nimmt, ein Streik der jede*n von uns etwas angeht. 

Auch in NRW kam durch einen Zusammenschluss der sechs Universitätskliniken ein Streik des Pflegepersonals zusammen mit den Hebammen zustande. Verfolgen konnte man alles online, Verdi verhandelte. Nach 79 Tagen kam der Streik zu einem Ende, mit dem Ergebnis: Tarifeinigung an Unikliniken – Entlastung für Pflegepersonal – genaue Ergebnisse können hier nachgelesen werden.  

Potentiale und Hürden sexueller Aufklärung via Social Media

Die Streiks wurden zwar hauptsächlich über digitale Medien wie Social Media organisiert, doch das Thema der Geburtshilfe sowie der Beruf der Hebamme brauchen noch wesentlich mehr Online-Präsenz, um nachhaltig etwas verändern zu können. Es fehlt an sexueller Aufklärungsarbeit. Viele Frauen*, die in die Klinik kommen haben sich nur wenig bis gar nicht mit der Anatomie des weiblichen Körpers, geschweige denn mit der Physiologie der Geburt, auseinandergesetzt. Ich beziehe mich hier nicht auf anatomisches oder physiologisches Fachwissen, doch ich finde es auf vielen Ebenen, als Frau, als Tochter und als Hebamme, besorgniserregend, wenn Frauen* keine Begriffe für Ihre Genitalien kennen, oder sie bei einer Geburt erschrocken sind, dass Sie Wehen bekommen bzw. nicht wissen, was Wehen sind. Aufklärung ist wichtig, damit sich Gebärende sicher unter der Geburt fühlen können, den ungefähren Ablauf, der auf sie zukommt, sowie ihre Rechte kennen. Aufklärungsarbeit ist der Grundbaustein für eine selbstbestimmte Geburt. 

Im Netz gibt es jedoch einige Hürden, wenn man sich mit den Themen feministischer, sexueller oder körperlicher Aufklärungsarbeit auseinandersetzt. So fehlt es z.B an der Übermittlung einer Diversität von Geschlechtern, Körpern und Partner*innen. Darüber hinaus erfahren Menschen sowohl im Netz als auch im Krankenhausalltag viel zu häufig Diskrimminierung. Postet man in Sozialen Netzwerken, muss man Gewisse Dinge beachten, so ist z.B der Grundgedanke von Facebook folgender :  

„Facebook schränkt die Darstellung von Nacktheit oder sexuellen Handlungen ein, da manche Mitglieder unserer Gemeinschaft diese Art von Inhalten als anstößig empfinden. Außerdem entfernen wir grundsätzlich Bilder mit sexuellen Inhalten, um das Teilen nicht-einvernehmlicher Inhalte sowie von unzulässigen Inhalten in Zusammenhang mit Minderjährigen zu verhindern. Einschränkungen bezüglich der Darstellung von sexuellen Handlungen gelten auch für digital erstellte Inhalte, es sei denn, sie wurden zu Bildungszwecken gepostet, oder es handelt sich um humorvolle oder satirische Darstellungen“

Zensur feministischer Inhalte hat Struktur

Illustration: Lucie Langston

Eine Ausnahme macht Instagram beim Thema Nacktheit in Verbindung mit Aufklärungs- und Bildungsarbeit. Nach welchen Kriterien hier sortiert wird, was Aufklärungs-Inhalte und was tatsächlich sexualisierte Darstellungen sind, ist jedoch nicht transparent. So wurde z.B der Account The Female Company in 2021 für mehrere Tage blockiert. The Female Company postet viel zum Thema sexuelle Aufklärung, über den weiblichen Zyklus und Körper im Allgemeinen, und versucht dabei, offen gesellschaftlich tabuisierte Themen anzusprechen und diesen einen Raum zu geben. Einen offiziellen Grund für die Blockierung des Accounts gab es bis heute nicht. Es fällt immer wieder auf, dass hauptsächlich Accounts, die weibliche Nacktheit zeigen, zensiert oder sogar blockiert werden. Dies zeigt, dass der weibliche Körper immer noch sexualisiert wird und somit häufig als Tabu gilt.

Auch Accounts, die sich auf die Aufklärung von Geburten fokussieren, wie z.B der von Flor Cruz (badassmotherbirther) oder Empowered Birth Project, haben immer wieder Probleme mit gesperrten Inhalten. Dabei geht es in diesen Accounts lediglich darum, transparent über den Ablauf der natürlichen Geburt zu posten, um Frauen* zu empowern und ihnen neues Vertrauen in ihre Körper zu schenken. Viele Personen haben hier beispielsweise kommentiert, dass sie keine Ahnung hatten, wie eine vaginale Geburt tatsächlich aussieht und dass diese Art von Fotos und Videos sie bei ihren Geburtsvorbereitungen inspiriert haben. Während der vorherrschende Diskurs die Geburt als furchterregend, technologisch, klinisch, entfremdend konstruiert und den gebärenden Körper als Risiko und immer am Rande einer Fehlfunktion darstellt, zeigen die Posts und Bildunterschriften der genannten Accounts gebärende Körper als fähig und machtvoll.

Feministische Studien und Kampagnen, wie z.B die von Carolina Are aus dem Jahr 2020 „How Instagram’s algorithm is censoring women and vulnerable users but helping online abusers“, enthüllen geschlechtsspezifische Zensur auf Facebook und Instagram. Sie legen einige der grundlegenden Mängel kommerzieller Sozialer Medien offen, die selten neutral, gerecht oder diskriminierungsfrei sind, insbesondere wenn sie der Selbstregulierung überlassen werden. Durch die Generierung von Gewinnen motiviert werden Plattformen dazu angeregt, Benutzer*innen basierend auf ihrem wahrgenommenen sozialen oder wirtschaftlichen Wert für die Website unterschiedlich zu behandeln. Diese Art der Aufteilung und ungleicher Behandlung macht historisch ausgegrenzte Gruppen anfällig für die voreingenommene Politik und die Verwaltungsstrategien von Social-Media-Seiten. Obwohl Plattformen Gleichbehandlung versprechen, gibt es eine grundlegende Diskrepanz zwischen der Art und Weise, wie Richtlinien geschrieben werden, und wie sie umgesetzt (und erlebt) werden. Die Gruppe der Hebammen sowie der gebärenden Personen hat verhältnismäßig wenig Online-Präsenz. Beispielsweise war die Sichtbarkeit des Hebammenstreiks nur gering und auch die Aufklärungsarbeit zum Thema Geburt hat keine große Reichweite. Die Online-Plattformen machen es schwierig und mühselig, Accounts am Laufen zu halten. Es bedeutet viel Arbeit und nimmt viel Zeit in Anspruch, sich immer wieder mit gelöschten Posts oder Story-Beiträgen auseinanderzusetzen. 


Fußnoten

  1. Ich habe „Frau“ mit einem Sternchen markiert, da sich nicht jeder Mensch, der gebärt, als weiblich entsprechend der biologischen und sozialen Definition definiert, sollen diese Personen hier nicht ausgeschlossen werden.
  2. DRG: „Seit 2004 rechnen die Krankenhäuser nicht mehr nach Tagessätzen ab, sondern auf der Basis diagnosebezogener Fallpauschalen (DRG = Diagnosis Related Groups). Im Vergleich zum alten System der Tagessätze werden unter DRG-Bedingungen stärkere Anreize für ein wirtschaftliches Verhalten gesetzt.(…) Mit der DRG-Einführung sollten Fehlanreize im System beseitigt, die Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung in den Kliniken erhöht und die Kosten gesenkt werden.“

Literatur: 

https://www.aerzteblatt.de/archiv/53507/Auswirkungen-der-DRG-Einfuehrung-Die-oekonomische-Logik-wird-zum-Mass-der-Dinge

https://www.hebammenverband.de/fileadmin/download/PDF/DHV_Ethik_fuer_Hebammen2022.pdf

https://www.hebammenverband.de/verband/berufspolitik/buendnis-gute-geburt/

https://www.hebammenverband.de/index.php?eID=tx_securedownloads&p=5479&u=0&g=0&t=1672321745&hash=69b8f327c6fd62755f66ba29888d7f4405b95483&file=/fileadmin/user_upload/pdf/Bildungspolitik/2022-09-22_Brandbrief_Geburtshilfe_BTKoalition.pdf

https://www.hebammen-nrw.de/cms/metabereich/presse/einzelansicht/datum/2022/09/30/weltstillwoche-2022-stillen-eine-handvoll-wissen-reicht/

https://www.streuverluste.de/beratung-werbung-beeinflusst-selbstbild-und-verhalten/

https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/14680777.2020.1783805

https://ijoc.org/index.php/ijoc/article/view/9608

https://www.unsere-hebammen.de/hintergruende/fragen-und-antworten/warum-so-viele-kreisssaalschliessungen/

https://www.boell.de/sites/default/files/assets/boell.de/images/download_de/2013-06-GANZ-Feministische-Netzpolitik.pdf