Instamoms – Feminismus oder Retraditionalisierung?

Mutterschaft auf Instagram ist schön, perfekt und vermittelt ein Bild zum Wohlfühlen. Das ist jedoch alles andere als divers und modern. Stattdessen werden hier alte Traditionen nicht nur wiederbelebt, sondern auch mit einer besonderen Brisanz als das Mutterideal verkauft.

von Friederike Jage-D’Aprile

EIn Smartphone-Bildschirm in der Mitte des Bildes. Drei Hände zeigen mit dem Zeigefinger auf das Bild auf dem Bildschirm. Darauf zu sehen ist eine liegende Frau/weiblich gelesene person mit langen roten, lockigen Haaren. Sie trägt ein weißes Tshirt und eine hellblau-weiß gemusterter Hose. Sie liegt auf der Seite und hält mit einer Hand ihr Knie angewinkelt fest, auf dem angewinkelten andern Arm ist ihr Kopf abgelegt. Auf Höhe ihrer Brust liegt ein Baby mit hellblauem Strampler, das von der Brust trinkt.
Illustration: Lucie Langston

Unter dem Hashtag #instamom versammeln sich auf der Social-Media-Plattform Instagram über 6.000.000 Beiträge. Darunter sind gegenwärtig vermehrt Bilder von Personen zu finden, die sich kritisch mit ihrer Mutterschaft auseinandersetzen und zeigen wollen, wie die Realität als (werdende) Eltern aussieht. Sie beschreiben Schmerzen beim Stillen, tragen Wochenbetteinlagen in Netzunterhosen oder posten ein weinendes Selfie, weil einfach alles zu viel ist. Sie wollen zeigen, dass in der Mutterschaft nicht alles puderweiß und voller Mutterglück ist. Als ein möglicher Ausgangspunkt dieser vermehrt kritischen Reflexion sei hier an Orna Donaths 2016 erschienene Studie über bereuende Mütter zu denken, die in Deutschland medial unter dem Hashtag #regrettingmotherhood eine breite Resonanz erfahren hat (Vgl. Donath 2016). Dennoch machen einen überwiegenden Großteil der Bilder von Mutterschaft auf Instagram doch immer noch genau die puderweißen und wohligen Bilder von Mutterschaft aus, die Mutterschaft als durchgängig positiv zeigen. Es sind die ‚Instamoms‘ mit einer oftmals hohen Reichweite (über 100.000 Follower*innen), die auf der Plattform mit ihrem wiederum traditionell inszenierten Mutterschaftsalltag werben und dabei eine stetig wachsende Follower*innenschaft verzeichnen. Sie stellen Mutterschaft vor allem als ‚naturgegeben‘ und ‚traditionell‘ dar, wie eine Studie von Helen Knauf und Susanne Mierau herausfand (Vgl. Knauf & Mierau 2021). In diesem Beitrag werden unter dem Begriff der ‚Instamoms‘ hauptsächlich cis-Frauen gefasst, die Inhalte über ihre Mutterschaft auf Instagram teilen. Mutterschaft wird in diesem Bezug als soziale Praktik verstanden, die heteronormativer Sinnbeschreibungen unterliegt. Da Mutterschaft jedoch nicht nur die biologische Mutterschaft betrifft – das heißt, dass nicht nur cis-Frauen gebären können – bedarf es in zukünftigen wissenschaftlichen Überlegungen dringend einer neuen elternschaftlichen Definition von Mutterschaft.

Die wissenschaftliche Erforschung von Mutterschaft auf Instagram

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Trend der Visualisierung von Mutterschaft birgt das Potential gesellschaftliche Zusammenhänge und Tendenzen zu erkennen. Es stellt sich konkret die Frage: Wie findet Mutterschaft in den sozialen Medien statt und welche gesellschaftlichen Schlüsse lassen sich daraus ziehen? In der deutschen Forschung noch eher randständig behandelt, zeigen internationale Studien, welche Bedeutung Instagram für die Repräsentation von Mutterschaft hat. 

Mutterschaft ist demnach in Kommunikationsprozesse sozialer Medien eingebunden, Informationen über das Muttersein werden vielfach geteilt und kommuniziert. Viele Mütter in ihren zwanziger bis dreißiger Jahren nutzen regelmäßig Instagram – sie sind Early Adopter dieser Anwendung, da sie mit dem Internet aufgewachsen sind und von Beginn an ihrer Mediennutzung mit sozialen Medien vertraut wurden (Vgl. Autenrieth 2014, S. 99). Das Aufrechterhalten bestehender Kontakte sowie die Suche nach Gleichgesinnten in Zeiten persönlicher und emotionaler Veränderung spielen in der Nutzung sozialer Medien eine Rolle. Die mentalen, emotionalen und physischen Veränderungen, welche mit der Schwangerschaft und der Geburt eines Kindes einhergehen, können oftmals aufgrund der wachsenden Mobilität und erhöhten Individualisierung nicht mehr im Familienverband ausgehandelt werden. Eine vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) veröffentlichte Studie zum mentalen Wohlbefinden von Müttern zeigt, dass der Eintritt in die Mutterschaft häufig mit einem verringerten Wohlbefinden der Frauen einhergeht (Vgl. Giesselmann 2018). Mütter suchen infolgedessen vermehrt im Netz Rat und Kontakt und verlagern ihre Kommunikation zu einem bestimmten Themenbereich in die sozialen Medien. Sie versuchen bestehende Kontakte zu stärken, familiäre Beziehungen auf dem neusten Stand zu halten und die Distanz, welche sich aus der räumlichen und sozialen Isolation ergibt, zu überwinden. Gerade in der Zeit des Wochenbetts und der Elternzeit ist die Mutter häufig aus ihren gesellschaftlichen Gefügen herausgenommen. Die Mutterschaftsinhalte sozialer Medien fungieren dort als Vergleichsstandard, wo die eigene Mutterrolle vermehrt differenziert wahrgenommen wird. Mutterschaft ist demnach kein gegebener Zustand, sondern unterliegt einer stetigen Aushandlung von Bedeutung und Rollenzuschreibungen. In Zeiten der Veränderung und des sich in der neuen Rolle Zurechtfindens können gerade in den sozialen Medien Ansätze gefunden werden, die die Mütter in ihrer Rolle bestärken oder ihnen Alternativen zu bestehenden sozialen Zuschreibungen anbieten. Dies kann einen emanzipatorischen Effekt haben. Die vielfältigen und diversen thematischen Aushandlungen von Mutterschaft auf Plattformen wie Instagram nämlich sind ein Zeichen für die unterschiedlich ausgeprägten Formen des Mutterseins. Mutterschaft auf Instagram lässt die Mutterschaft zu etwas Öffentlichem werden, was vor der Digitalisierung weitestgehend privat oder an anderen kommunikativen Orten wie beispielsweise Elterngruppen oder im Familienverband ausgehandelt wurde. 

Ein Smartphone in der Mitte, über den Rand ragen viele rote Herzen nach rechts oben, links oben sind die Icons von Like, Comment und Follower:innen in rot abgebildet als Sprechblase. Das Bild im Bildschirm ist wie vom Kartenspiel der Herzdame: nach oben eine weiße blonde Frau, die ein Schwarzes Baby mit rosa Schleife him Haar auf dem Arm hält und entzürnt guckt. Gespiegelt unten im Bild eine POC Frau mit braunen langen Haaren mit schreiendem weißen Baby auf dem Arm, die Frau sieht erschöpft aus.

Mutterschaft auf Instagram als trending topic

Das Phänomen der wachsenden Popularität von Mutterschaftsthemen auf Instagram und das Interesse, sich als Mutter zu zeigen und spezifisches Wissen zu teilen, zeigt die Prägnanz, die gegenwärtige gesellschaftliche Zuschreibung von Mutterschaft zu hinterfragen. Die sozialen Medien, vor allem Instagram, werden hier zum Aushandlungsort subjektiver Erfahrungen, der vermag eine Grundlage für neue Rollenzuschreibungen zu bilden. Dabei ist ein Strukturwandel der Öffentlichkeit zu erkennen, der das Öffentliche und Private nicht mehr strikt voneinander trennen lässt. Private Probleme der Mutter müssen als strukturelle begriffen werden, damit sie politisch relevant werden. Mütter, die Themen ihrer erlebten Mutterschaft auf Instagram zeigen, bieten ihre subjektive Perspektive von Mutterschaft an und ermöglichen einen Abgleich dieser. Die Individualisierung von Lebenswelten könnte dann auf Instagram zu einem Ausdruck von Entindividualisierung werden, da Communities inhaltliche Gruppierungen darstellen und so gesellschaftspolitisch emanzipatorisch wirken können. Dabei sieht jeder Nutzer*innen-Feed anders aus – je nachdem wem gefolgt wird. Neben dem als emanzipatorisch wirkenden Effekt des Austauschs tritt jedoch die Gefahr, sich mit dem veröffentlichten Material einer breiten Masse angreifbar zu machen. Zu denken sei dabei an Begriffe wie das ‚mom-shaming‘, welches den Umstand des gegenseitigen Kritisierens bestimmter Mutterschaftspraktiken beschreibt. So gibt es Themen wie beispielsweise der gewählte Zeitraum des Stillens, die Art und Weise der Beikosteinführung oder der präferierte Geburtsmodus, die besonders stark durch die Rezipient*innen und Produzent*innen dieser Inhalte diskutiert und sogar ‚verurteilt‘ werden. Dieser Umstand deutet daraufhin, dass hier die traditionelle Vorstellung der sich aufopfernden Mutter, die dem Patriarchat dient, als Urteilsquelle herauszustellen ist. Zu beobachten ist hinsichtlich der traditionellen Vorstellung von Mutterschaft auch, dass beispielsweise Hashtags wie #momhack, unter denen eine Vielzahl an (Video-)Reels und Bildern zu Haushalts- oder Erziehungstipps veröffentlicht sind, binäre Geschlechtszuschreibungen reproduzieren und so zu einer Stereotypisierung der Mutter als Hausfrau und Hauptverantwortlichen der emotionalen und Care-Arbeit beitragen. Hier ist eine tiefere wissenschaftliche Betrachtung wegweisend. 

Mutterschaft als Werbemarkt

Zudem ist es gerade der öffentliche Austausch unter Müttern, der zunehmend von ökonomischen Interessen geleitet wird (Vgl. Wegener et al. 2022). Der tiefe Einblick in vormals privat ausgehandelte Themen schafft Vertrauen und Glaubwürdigkeit und wird so besonders relevant für den Werbemarkt. Diese Vermarktungsmechanismen wirken auf das zuvor beschriebene emanzipatorische Potential der Plattform wiederum normierend. Instamoms werden zwar durch die Vermarktung ihrer Mutterschaftsinhalte zu ihren eigenen Chef*innen, können zu ihren eigenen Konditionen am Arbeitsmarkt teilnehmen und vermögen sich damit aus alten Mutterschaftsrollenverständnissen zu lösen, sind in der Darstellung ihrer Inhalte jedoch trotzdem an traditionelle Normen des Marktes gebunden und spiegeln dort patriarchale Strukturen wider, die das Einkommen generieren. So sind es gerade reichweitenstarke Mutterschaftsaccounts, die ein tradiertes Bild von Mutterschaft zeichnen, das dem des Werbemarktes eingeschriebenem männlichen Blick schmeichelt. Wird Instagram als Aushandlungsort von Mutterschaft verstanden, dann wächst das Risiko, dass vor allem traditionelle Rollenverständnisse von Mutterschaft verhandelt werden, die zu einer Retraditionalisierung von Mutterschaftszuschreibungen innerhalb der Gesellschaft führen können. Die Auswirkungen dieser Reproduktion von Mutterschaftsidealen auf Instagram, gelenkt durch Mechaniken des Marktes, sind breit und wissenschaftlich untersuchenswert. Vor allem der Druck, der auf Konsument*innen liegt, die sich selbst in elternschaftlichen Aufgaben befinden, dem perfekten Bild von Mutterschaft auf Instagram zu entsprechen, wiegt schwer. 


Literatur

Autenrieth, Ulla. (2014). Die ‚Digital Natives‘ präsentieren ihre Kinder–Eine Analyse der zunehmenden (Selbst-) Visualisierung von Familie und Kindheit in Onlineumgebungen. Studies in Communication Science, 14 (2). 99-107.

Donath, Orna. (2016). #regretting motherhood. Wenn Mütter bereuen. (1. Aufl.). Albrecht Knaus Verlag.

Giesselmann, Marco. (2018). Mutterschaft geht häufig mit verringertem mentalem Wohlbefinden einher. 85(35), 737–744. https://doi.org/10.18723/diw_wb:2018-35-1.

Knauf, Helen & Mierau, Susanne. (2021). Instamoms: Visuelle Inszenierungen intensiver Mütterlichkeit in Social Media. Eine Analyse der Darstellung von Müttern mit ihren Kindern auf Instagram. Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation 41 (3), 283 – 300. DOI 10.3262/ZSE2103283.

Locatelli, Elisabetta. (2017). Images of breastfeeding on instagram: Self-representation, publicness, and privacy management. Social Media and Society. https://doi.org/10.1177/2056305117707190.

Wegener, Claudia, Jage-D’Aprile, Friederike & Plumeier, Lisa. (2022). Motherhood in social media: phenomena and consequences of the professionalization of mothers and their media (self-)representation, Feminist Media Studies. DOI: 10.1080/14680777.2022.2108479.