KI can’t care. Mütterlichkeit im Zeitalter Künstlicher Intelligenz.

Mutterschaft ist in feministischen Diskursen oft ein Randthema. Künstliche Intelligenz könnte Wege aufzeigen, wie das Thema aktiver in feministische Kämpfe eingebunden werden kann.

Dieser Artikel ist zuerst in der Publikation „Wenn KI, dann feministisch. Impulse aus Wissenschaft und Aktivismus“ (netzforma*, 2020) in print erschienen.

von Hannah Lichtenthäler

Mütterliche Vorbilder

Mutter – eine Rolle, eine Identität, eine Berufung? Laut Google sind Mütter wie Engel, wie Bäume, wie Blumen und Muttersein ist anstrengend, schwer und hart.1 Dieses Paradox zeigt die Doppelmoral, die Müttern aufgebürgt wird, sehr deutlich: Wer Mutter ist, ist für Fürsorge, Freude und Bodenständigkeit zuständig, gleichzeitig ist Muttersein mit Anstrengung verbunden. Klar ist, dass Mutterschaft (als Kategorie) der Femininität zugeschrieben, genauso wie andersherum Femininität Muttersein kategorisch zugeordnet wird. Es ist eine vergeschlechtliche Zuschreibung, die die Binarität der Geschlechter synonym zu Frau als biologische Einheit zementiert. Im feministischen Diskurs ist Mutterschaft zwischen “Gleichheits-, differenzfeministischen und poststrukturalistischen Ansätzen” umstritten, nicht zuletzt da sie oft im Zusammenhang mit der körperlichen Erfahrung der Schwangerschaft gesetzt wird und noch immer heteronormativ besetzt ist (Krüger-Kirn und Wolf 2018). Die Unterscheidung zwischen Mutterschaft und Mütterlichkeit ist dabei wichtig, denn letzteres sei weder an ein bestimmtes Geschlecht noch an Care-Verantwortung für eigene Kinder gebunden und könne außerdem auch in der Rolle als Onkel, erwachsene Freundin oder Mentorin verwirklicht werden (Grobner 2020).2

Muttersein ist so alt wie die Menschheit, so auch die Erzählungen darüber. Globalisierung hat viele Aspekte, die es zu kritisieren gibt, vom Kolonialismus bis zur Klimakrise. Doch sie hat uns digital globalisiert und dadurch Geschichten auf unsere Bildschirme gebracht, mit denen wir Identifikation für marginalisierte Perspektiven erhalten können, die es im linearen deutschen weißen Mainstream-Fernsehen so nicht gibt. “Film und Fernsehen beinhalten ein kulturdiagnostisches Potenzial, in dem sie Einblicke in kulturelle und gesellschaftliche Problemlagen vermitteln und kulturelle wie gesellschaftliche Debatten aufzeigen”, erklärt Krüger-Kirn. Doch schauen wir in popkulturelle Medien, suchen wir meist vergebens nach Repräsentationen, die über die konventionelle heteronormative Bilderbuchfamilie hinausgehen. Wir sehen Mutterfiguren in verschiedenen Rollen im Fernsehen – dank der immer weiter wachsenden Nachfrage nach digitalen Serienformaten, können wir mit einem Klick unsere Serienlieblinge á la carte auswählen, ob in Mediatheken, bei Netflix, Amazon Prime oder anderen Pay-TV-Kanälen. Sie sind unsere alltäglichen Begleiter, vor allem in Zeiten des zunehmenden Zuhausebleibens wie derzeit in der Corona-Pandemie. Ob Modern Family oder Black’ish das Familienevent zum Abendbrot sind oder wir alleine The Handmaids Tale (Der Report der Magd) binge-watchen – die Auswahl ist vermeintlich endlos. Gerade Fernsehserien können uns so gut im Alltag begleiten, da sie durch ihr serielles Erzählen sich wiederholende Erzählstränge haben oder durch das Episodenformat selbstbestimmt portioniert werden können. Anders als Filme erlauben sie die Entwicklung komplexer Charaktere oder Handlungsstränge über einen längeren Zeitraum. Erzählungen über Familien gibt es zahlreiche, doch wenige zeigen Patchwork-Familien, in denen Latinx-Personen in den Hauptrollen sind und gleichzeitig queere Elternschaft thematisiert wird, wie es Modern Family oder auch Once Upon a Time erfolgreich zeigen. Viele Serien handeln von komplexen Vaterfiguren, nur selten von Müttern in ihrer Komplexität. Häufig treibt die Abwesenheit der Mutterfigur die Handlung an wie zum Beispiel in Full House oder aber Mütter in heteronormativen Familienkonstellationen werden lediglich als Hausfrau ohne eigene Bedürfnisse oder als Powerfrau, die Beruf, Kindererziehung und Haushalt komplett alleine managed, gezeigt. Eine der erfolgreichsten Serien, die eine innige Mutter-Tochter-Beziehung in all ihrer Vielfalt in den Vordergrund gestellt hat, ist Gilmore Girls. Auch wenn die Serie stark in einer postfeministischen Tradition steht, die neoliberale Werte des amerikanischen kapitalistischen Systems spiegelt und blind gegenüber Themen wie Rassismus, Klassismus, oder Fettphobie bleibt, ist sie Teil der popkulturellen Erzählung, die Muttersein lebensnah in Alltagssituationen schildert. 20 Jahre ist das Debüt von Gilmore Girls her. Seitdem hat es wenige innovative Erzählungen von Mutterschaft gegeben. Aktuelle Beispiele geben Hoffnung auf eine feministischere Erzählung von Mutterschaft und Elternsein in ihrer Komplexität in unseren alltäglichen Unterhaltungsformaten. Dazu gehören: die australische Serie The Letdown (Milcheinschuss), die alltägliche Situationen neuer Eltern wie Stillen, Schlaflosigkeit, Karrierepläne, Beziehungskonflikte und auch die Beziehung zu anderen Eltern mit gleichaltrigen Babys zeigt, die kanadische Serie Working Moms, in der sich vier Mütter über Karriere, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Stillen, queere Elternschaft, oder Vaterfiguren in ihrer Mutter/Vater-Kind-Gruppe austauschen, die amerikanische Good Girls, in der drei Mütter aus finanzieller Not und Sorge um ihre Familien einen Supermarkt ausrauben und dabei ihre Rollen in den jeweiligen Familienkonstellationen aushandeln, die amerikanische in den 90er Jahren spielende Serie Little Fires Everywhere, die Klassismus, Rassismus, Heteronormativität, Mutterschaft, Leihmutterschaft und Karriere thematisiert, sowie Jane the Virgin, die sich um den drei Generationen-Haushalt der Villanueva Frauen und ihre Perspektive u.a. auf Mutterschaft, künstliche Befruchtung, Patchwork-Familie oder Schwangerschaftsabbruch dreht.

Feminismus und Mutterschaft

Innerhalb der feministischen Kreise ist Mutterschaft eher wenig sichtbar. Zum einen liegt es vermutlich daran, dass der Kampf um reproduktive Rechte und die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs selten mit Themen der Elternschaft zusammen gedacht werden. Und das obwohl viele Schwangerschaften von Personen abgebrochen werden, die bereits Eltern sind, häufig aus finanziellen Gründen (Profamilia 2018). Zum anderen liegt es daran, dass viele Frauen* noch immer gegen die Stigmatisierung zu kämpfen haben, keine Kinder haben zu wollen. Eine Zukunft sollte die Entscheidung für oder gegen Kinder allen Menschen gleichermaßen zugänglich machen, immer und überall, unabhängig von kulturellem oder sozialem Kontext. Das Konzept der reproduktiven Gerechtigkeit3, das Ende der 90er Jahren von BIPOC Feminist*innen zusammen mit LGBTIQ+ Communities und anderen marginalisierten Gruppen, zusammengeschlossen als SisterSong4, in den USA begründet wurde, sollte Teil unserer feministischen Zukunft sein. Es vereint die intersektionalen Kämpfe, für BIPOC Frauen und trans*, inter und nicht-binäre Personen sich für Kinder zu entscheiden, es kämpft gegen rassistische Ressentiments in der Geburtshilfe, genauso wie es für das Recht auf den Schwangerschaftsabbruch und für die Gerechtigkeit in der Selbstbestimmung über den eigenen Körper einsteht. Dass dies eine Bewegung ist, der sich auch weiße Feminist*innen anschließen können, in Anerkennung an die bisherigen Erfolge der Schwarzen Bewegung aus der das Konzept entstanden ist, können wir in Zukunft lernen, auch in Deutschland. “I am not free while any woman is unfree, even when her shackles are very different from my own”, hat Audre Lorde bereits 1981 gesagt. Dies müssen auch weiße Frauen* anerkennen und Allianzen für die Selbstbestimmung, reproduktiven Rechte und soziale Gerechtigkeit schließen. 

Digitalisierung hat das Potential, die Zukunft von Mutterschaft maßgeblich zu gestalten und dadurch gerechter, feministischer zu machen. Zum einen gibt es zahlreiche Aktivist*innen, die über soziale Medien Bildungs- und Aufklärungsarbeit leisten, u.a. zu Themen rund um reproduktive Gerechtigkeit, Geburtshilfe, Schwangerschaft, Schwangerschaftsabbruch, queere Elternschaft sowie allgemein auch das alltägliche Leben mit Kindern. Egal ob Blogger*innen, Influencer*innen oder Aktivist*innen – das Internet macht es möglich, sich zu informieren, auszutauschen, sich nicht allein zu fühlen, über nationale Grenzen hinweg. Die stetige Weiterentwicklung digitaler Tools und Methoden kann das Leben erleichtern und unterstützen. Unser Zeitalter der Digitalisierung ist nicht mehr ohne Künstliche Intelligenz (KI) denkbar. Sie findet mittlerweile in vielen Bereichen Anwendung, seien es Vorhersagen über unsere Fruchtbarkeit oder über die Gesundheit eines Fötus, und die Prognose ist: KI wird unsere Zukunft bestimmen. Dies wirft Fragen auf: Wer programmiert diese Algorithmen und wer trainiert die Datensätze, mit denen die KI derartige Vorhersagen trifft, auf denen Entscheidungen über Leben und Tod basieren? Wer bleibt in Entscheidungsprozessen in einer aktiven Rolle einbezogen? Wie kommen KI und Mutterschaft zusammen und wie entwickeln wir diesen Zusammenhang feministisch? 

Allheilmittel gegen Unfruchtbarkeit?

Operieren bald nur noch Roboter? KI rettet mittlerweile Leben, oder zumindest hilft sie beim Erhalt von Lebensqualität. KI kann das Leben mit Diabetes erleichternd unterstützen (Contreras 2018) und vor allem in der Medizin bei der Früherkennung von Karzinomen helfen, da Algorithmen viel zuverlässiger und schneller Muster für Tumore erkennen können, als das menschliche Auge. Vergessen wir nicht: errare humanum est (non secundum apparatus). Das darf aber bei weitem nicht heißen, dass Entscheidungen irgendwann von Maschinen getroffen werden. Auch in der Reproduktionsmedizin spielt Technik eine immer stärker werdende Rolle. Wer schon einmal in einem Kreißsaal entbunden hat und viele Stunden Wehen und Herzschlag überwachen lassen musste, kennt das: Hebammen fehlen an allen Stellen, eine Hebamme beobachtet mehrere Entbindende und den Herzschlag der Babys gleichzeitig per Monitor, nur, wenn maschinell eine Unregelmäßigkeit gemeldet wird, kümmert sich die Hebamme. Fürsorge im Kreißsaal kann aufgrund der personellen Bedingungen kaum noch geleistet werden, doch auch keine Maschine kann diesen Moment kurz vor und nach der Geburt fürsorglich begleiten. Der Diskurs rund um Geburtshilfe ist hoch politisiert, doch findet die Berücksichtigung aller Aspekte rund um die Geburt, wohl bemerkt dem Ursprung unser aller Leben, bei politischen Entscheidungen kaum bis gar keine Rolle. Kreißsäle schließen in ländlichen Regionen5, sodass Entbindene unter Umständen hunderte Kilometer ins nächste Krankenhaus fahren müssen. Kaum eine schwangere Person findet in Berlin eine Schwangerschaftsbetreuung von einer Hebamme, da es aufgrund teils katastrophaler Arbeitsbedingungen und fehlender politischer Maßnahmen für faire und angemessene Bezahlung immer weniger von ihnen gibt. Wie wäre es denn, wenn uns eine KI ausrechnet, wie viele Hebammen an welcher Stelle gebraucht werden, und wie finanzielle und zeitliche Ressourcen bestmöglich eingesetzt werden können, um dem Aussterben einer der wichtigsten Care-Berufe entgegen zu wirken, statt zu schauen, an welcher Stelle KI Personal ersetzen kann? Es scheint eine banale Rechnung, die eine KI sofort erlernen kann. Tatsächlich hat beispielsweise der Deutsche Hebammen Verband e.V. auf seiner Webseite ein Tool entwickelt, das die aktuellen Bedingungen der Geburten in Deutschland kartiert und so anhand der Datensammlung Unterversorgung direkt darstellt. Derartige Berechnungen werden politisch jedoch zu wenig beachtet, da es das patriarchale System, das die Geburt auch nur als Teil des kapitalistischen Zyklus von Produktion und Reproduktion sieht, für undenkbar radikal hält. 

Neoliberales Versprechen der Reproduktion

Befürworter*innen von KI-Einsätzen in der Geburtsmedizin schwärmen vielleicht davon, dass KI entscheiden kann, ob eine Geburt natürlich oder per Kaiserschnitt durchgeführt werden kann. Durch maschinelles Lernen sollen Interventionen und Komplikationen auf das notwendige Minimum reduziert werden können. Die Idee, oder besser das Ideal, lautet: Wenn KI fetale Bewegungen, Atemmuster und Biosignale wie Herzfrequenz oder Blutdruck lesen und zuverlässig entscheidende individuelle Muster in der Physiologie, den Emotionen und Verhaltensweisen von Mutter und Baby erkennen könne, und so genau erlerne, welche Kombinationen von Mustern zu welchem Ergebnis führen, könnte ein solches System verwendet werden, um zu bestimmen, was während der Wehen zu tun sei (Topalidou and Downe 2019). Darüber hinaus kann KI auch schon vor der Geburt beispielsweise bei Plazentauntersuchungen auf Unregelmäßigkeiten auf einem Computerbild schneller aufmerksam machen und so im Zweifel Erkrankungen frühzeitig erkennen (Stephens 2020). Am MIT in Boston hat eine Gruppe von Forscher*innen bereits einen KI-Roboter für den Kreißsaal entwickelt. In einer Studie kam heraus, dass die beteiligten Ärzt*innen und Pfleger*innen Empfehlungen dieses Roboters in 90% der Fälle akzeptierten, gleichzeitig kam aber auch heraus, dass die Fehlerquote ähnlich hoch war, unabhängig von der Anwesenheit des Roboters. Daraus schlossen sie zwar, es sei sicher, eine KI in der Geburtshilfe einzusetzen (Topalidou and Downe 2019), doch warum sich auf KI stützen, wenn sie am Ende doch nicht besser agieren kann als Menschen? Hinzu kommt der emotionale Aspekt einer Geburt, den keine KI je wird ersetzen können. Es ist bekannt, dass eine fürsorgliche Begleitung und menschlich emotionale und psychologische Unterstützung sowohl für Entbindene als auch für Säuglinge die gesundheitlichen Folgen der Geburt verbessern sowie auch langfristige Auswirkungen auf das Erwachsenwerden des Neugeborenen haben können (ebd.). Keine schwangere Person sollte während der Geburt auf Alexa oder Siri als Geburtshelferin angewiesen sein müssen, ohne jeglichen menschlichen Kontakt. 

Ein zentraler Teil der Reproduktionsmedizin ist Künstliche Befruchtung. Forscher*innen preisen KI als wesentlichen Teil der Lösung für ungewollte Kinderlosigkeit in der Zukunft an. Es wurden bisher schon mehrere Techniken maschinellen Lernens bei künstlichen Befruchtungen eingesetzt, um die Leistung der assistierten Reproduktionstechnologie (ART) zu verbessern (Wang et al. 2019). Auch wenn es nach wie vor viele Herausforderungen und Probleme gibt, haben Entwicklungen der ART wie die assistierte Befruchtung, genetische Präimplantationstests und Technologien zur Embryonenauswahl, die klinische Schwangerschaftsrate in den letzten 40 Jahren seit der Geburt des ersten Babys mit In-vitro-Fertilisation (IVF) stark verbessert (ebd.). Noch immer ist es schwierig, die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Schwangerschaft – genauso wie die Ursache für jeden Misserfolg – vorherzusagen oder zu verstehen. Ein Ansatz der KI-basierten Methoden ist es, Daten komplexer Diagnosen und Therapiebehandlungen zu sammeln und auszuwerten, um Unfruchtbarkeit bei Patient*innen besser behandeln und prognostizieren zu können. Dabei kann diese KI effizienter und wirksamer den Behandlungszyklus der ART optimieren. (ebd.) Eine Verbesserung der IVF durch die Nutzung von Algorithmen für bessere Vorhersagen über den besten Zeitpunkt im Zyklus für die Empfängnis könnte für Betroffene finanzielle Entlastung durch niedrigere Kosten bedeuten sowie die Minderung traumatisierender Erfahrungen durch Frühaborte (Ducharme 2019).

Weitaus bekannter ist die Anwendung von Algorithmen bereits im Bereich des Menstruationstrackings, durch Apps wie Flo, Clue oder drip. In diesen Apps können Menstruierende ihren Zyklus, körperliche Symptome, sexuelle Aktivität und ihre Fruchtbarkeit, z.B. für natürliche Familienplanung (NFP), überwachen. Diese Apps sind mittlerweile für den privaten Gebrauch der hormonfreien Verhütung und/oder der Zyklusüberwachung6 weit verbreitet, werden darüber hinaus aber auch im Bereich der künstlichen Befruchtung angewendet, um Fruchtbarkeit noch besser zu überwachen. Apps wie Mira, kombinieren die Selbstberichte mit Urintests der User*innen zu Hause, mit denen die App den Hormonspiegel verfolgen kann, um Fruchtbarkeit noch genauer vorhersagen zu können (ebd.). Dr. Jessica Spencer, Direktorin der Abteilung für reproduktive Endokrinologie und Unfruchtbarkeit an der medizinischen Fakultät der Emory Universität, erkennt das große Potential von KI für künstliche Befruchtung, da Algorithmen die notwendigen Variablen errechnen kann, die Unfruchtbarkeitsrisiken weit im Voraus einschätzen kann, genauso wie ein Protokoll für Menschen mit Uterus, die versuchen per IVF schwanger zu werden, individuell zuschneiden kann (ebd.). Wie hilfreich KI beim Einsatz dieser Datenverarbeitung ist, zeigen diese Entwicklungen deutlich. Trotz dieser zunehmend wichtigen Rolle von KI in der Medizin, wird sie Ärzt*innen in Zukunft wohl kaum ersetzen (ebd.).

Fruchtbarkeitsdiskurs braucht Feminismus

Wie so oft fehlen in solchen Diskussionen und Zukunftsmelodien sichtbare feministische Perspektiven. Bei Tracking-Apps geht es nämlich in der Regel um Kaufkraft und Daten, statt Probleme der Gesundheitsversorgung zu lösen (Kochsiek 2019). Wie die Algorithmen die eingegebenen Daten über die Menstruation der User*innen auswerten, ist zumal sehr intransparent. Einige der Apps bieten sogar das Teilen der Daten mit Facebook oder Google an, die großes Interesse an den privaten Datensätzen haben. Bisher haben zwar Krankenkassen keinen Zugriff auf solche Gesundheitsdaten, doch das Nutzungsverhalten wird für gezielte Werbung, durch die sich solche Apps meist finanzieren, bereits verwendet (ebd.). Datenschutz und -sicherheit müssen im Vordergrund stehen und nicht verkauft werden, um die neoliberale Marktlogik mit mehr und mehr Daten zu füttern. “Denn es braucht mehr Technik-Transparenz und aufrichtige Algorithmen, die auf die Begrenztheit ihrer Aussagekraft hinweisen oder zu vage Aussagen gar nicht erst treffen”, fordert Kochsiek (ebd.). Es gibt natürlich Ansätze, wie etwa die Tracking-App drip, eine Open-Source Alternative, die Daten nur lokal auf dem Smartphone speichert, und genauso funktioniert wie all die anderen Apps. 

Bei der Diskussion um IVF und KI fehlt zudem ganz klar eine kritische Perspektive darauf, wie fremdbestimmt sie laufen. Die uralte Sage der tickenden biologischen Uhr gilt immer noch als Grundlage für die Errechnung von Fruchtbarkeit, und dabei wird den Menschen mit Uterus in der Regel ein Zeitfenster von 7-10 Jahren gegeben, obwohl dies fern von der Lebensrealität der meisten ist. Der Druck auf Menschen mit Kinderwunsch bettet sich ein zwischen biologisch-zeitlichem Narrativ, dem Baby als Karrierekiller (Rosales 2020) und neuerdings auch den negativen Auswirkungen auf das Klima (Bücker 2020).7 Gleichzeitig fehlt eine öffentliche Diskussion über das Tabuthema Fehlgeburt. Allein linguistisch steckt ein stigmatisierendes Narrativ hinter dem (spontanen) Abort, über den sich kaum Menschen zu sprechen wagen – denn vor den ersten drei Monaten sollte sowieso niemand über Schwangerschaft und die möglichen Folgen sprechen. Tick tock, eine tickende Zeitbombe jagt die andere. Tatsächlich erlebt knapp jeder dritte Mensch mit Uterus eine oder mehrere Fehlgeburten (Grobner 2020), aber weder über Fehlgeburten noch über ungewollte Kinderlosigkeit sprechen Mainstream und feministische Communities gleichermaßen. “Fertility Gap heißt jene Lücke zwischen Kinderwunsch und tatsächlicher Kinderanzahl”, erklärt Grobner, und er ist vor allem unter Akademiker*innen in Deutschland, Österreich und der Schweiz besonders groß (ebd.). Lebensrealitäten wie etwa von lesbischen cis Frauen, die häufig von ungewollter Kinderlosigkeit betroffen sind, oder von trans* Personen8, werden in Studien über Fruchtbarkeit erst gar nicht berücksichtigt. Diverse Lebensrealitäten von allen Personen mit Kinderwunsch müssen den Zukunftsvisionen von KI als Allheilmittel gespiegelt werden und die Diskussionen im Mainstream und innerhalb feministischer Kreise müssen offen und transparent geführt werden. Sie müssen außerdem auch antirassistisch geführt werden, denn häufig kristallisiert sich eine biologistische Logik auf Elternschaft heraus, die vor allem im Westen vorherrscht. 

Wenn KI, dann feministisch

Mutterschaft und KI gehören in einer feministischen Zukunft zusammen, und das nicht, weil Algorithmen schlauer sind als Menschen und aufgrund ihres online Kauf- und Suchverhaltens früher wissen, ob jemand schwanger ist, als die Person selbst. Ein Projekt in Kenia hat zum Beispiel gezeigt, dass KI einen Chatbot trainieren kann, der typische Fragen, die viele Eltern während einer Schwangerschaft und in den ersten Monaten nach der Geburt über das Baby haben, beantwortet – viele Menschen ohne höheren Bildungsabschluss verfügen nicht unbedingt über den Zugang zu neuesten Technologien oder zum Internet, deshalb funktioniert dieser Service per SMS (Rajasekharan 2019). Auch in Europa und den USA gibt es einen solchen Chatbot in der App Muse9, die es auch als SMS Funktion gibt, allerdings einen monatlichen Beitrag erfordert (Anderson 2018).  

Technik kann nicht den Sozialen Aspekt von Mutterschaft ersetzen, denn Technik kann nicht fürsorgen. Dystopische Sci-Fi-Szenarien gaukeln uns vor, dass das böse Erwachen bevorsteht, in dem Android*innen Föten mit dem vielversprechenden Genmaterial im Reagenzglas heranzüchten (wie der Film I am Mother thematisiert) und die menschliche Mutter ersetzen werden. Doch welche Frage tatsächlich gestellt werden muss, vor allem im weißen westlichen Narrativ von Mutterschaft: wer darf Mutter sein und was können wir hier in Deutschland noch dazulernen aus Bewegungen wie der Reproduktiven Gerechtigkeit? Wie können innerhalb feministischer Diskussionen auch Perspektiven von Elternschaft und Mutterschaft zugelassen werden, zum einen diese nach dem Wunsch von Kindern, sowie nach dem Wunsch keine Kinder zu bekommen, aber auch zur Dekonstruktion naturgegebener Mutterliebe, wie es z.B. der Hashtag-Trend  #Regrettingmotherhood gezeigt hat?

Wenn Firmen damit werben, wie gut KI und Roboter in der Kindererziehung eingesetzt werden können (Kadyrov 2019), seien es die Kameras im Babybett, die Matratze, die den Herzschlag des Kindes mit überwacht, oder die GPS-Tracking-App auf dem Smartphone der jugendlichen Kinder, ist dies hoch problematisch und bedarf unserer Aufmerksamkeit. KI darf nicht zur Überwachung von Kindern ausgenutzt werden und darüber hinaus noch diese Daten an Unternehmen geben, die nicht transparent machen, was mit den Daten passiert oder sie zu Werbezwecken verkaufen. Eine Zukunft der digitalen Welt ist transparent bezüglich der Daten, Überwachung ist reguliert und Unternehmen schöpfen keinen Profit aus den persönlichen Daten der Menschen. 

Klar ist auch: Care-Arbeit muss aufgewertet werden, sowohl die bezahlten Berufe im Care Bereich wie Krankenpflege, Altenpflege und Kindererziehung, aber vor allem auch die unbezahlte Care-Arbeit und mentale Arbeit (Stichwort Mental Load), die vor allem auf den Schultern von Frauen* lastet. Wie können wir digitale Technologien wie KI einsetzen, damit Mutterschaft davon profitiert? Oder muss die Frage vielleicht auch lauten: wie kann Mutterschaft KI beeinflussen, damit sie gerechter, feministischer wird? Wie und wo würde KI eingesetzt und bedarfsorientiert programmiert werden, wenn diese Perspektiven auf der Entscheidungsebene vertreten sind? Erinnern wir uns an die mütterlichen Vorbilder aus unseren Lieblings-Fernsehserien: eine feministische Zukunft zeigt Mutterschaft, Mütterlichkeit, Elternschaft und Familie vielfältig, weder nur positiv, noch nur negativ, schafft Vorbilder für alle Menschen und erlaubt uns, in und mit diesen Erzählungen auch mal von unserem Alltag abzuschalten. Denn eines bleibt: eine feministische Zukunft der KI ist nur mit Mutterschaft denkbar und Mutterschaft ist nur dann zukunftsfähig, wenn die gesellschaftliche Vorstellung von ihr dekonstruiert und queere, trans* und nicht-binäre Menschen miteinschließt. Das heißt für uns: Wenn KI, dann feministisch. 


Fußnoten

  1. Automatische Vervollständigung bei der Eingabe in der Suchmaschine nach den Worten “Mütter sind (…)” und “Muttersein ist (…)” im Oktober 2020 über google.de.
  2. Für eine kulturhistorische und diskursive Auseinandersetzung über Mutterschaft und Mütterlichkeit Selbst- und Fremdbestimmung im Rahmen von Mutterschaft und Schwangerschaft sowie intrapsychisches und intersubjektives Erleben von Mutterschaft, siehe Krüger-Kirn und Wolf.
  3. Über das Konzept der reproduktiven Gerechtigkeit schreiben Loretta J. Ross and Rickie Solinger ausführlich in ihrem Buch “Reproductive Justice: An introduction”. Es geht um die intersektionale Analyse von Rassismus, Klassismus und Sexismus mit Fokus auf die Erfahrungen von Frauen of Color. Sie grenzen dabei die Bewegung der reproduktiven Gerechtigkeit von der Pro-Choice-Bewegung ab. Das Konzept kombiniert den Kampf um reproduktive Rechte und soziale Gerechtigkeit. (Ross & Solinger, 2017)
  4.  Weitere Informationen auf der Webseite über Reproductive Justice (SisterSong).
  5. “1991 gab es noch 1186 Kliniken, in denen Geburten möglich waren. 2017 waren es nur noch 672 Kliniken mit Geburtshilfe. Seitdem schließt fast jeden Monat ein Kreißsaal ganz oder vorübergehend die Türen (Deutscher Hebammen Verband e.V.).”
  6. Für Menstruierende bietet diese Art des Zyklustrackings auch den Vorteil, bei ihren Gynäkolog*innen konkrete Angaben über den Gesundheitszustand machen zu können, was z.B. für Endometriosepatient*innen überaus wichtig ist, da Ärzt*innen auf derartige Schmerzsymptome selten adäquat reagieren. Wer starke Menstruationsbeschwerden hat, kann zudem anhand der Vorhersagen über die kommenden Perioden wichtige Termine besser koordinieren. 
  7. Frauen mit Kinderwunsch werden nun auch als egoistisch bezeichnet, da die CO2-Bilanz von Kindern so schlecht für die Umwelt ist – statt Unternehmen und Regierungen werden also gebärfähige Menschen in die Verantwortung gezogen? “Der Wunsch nach Familie ist kein Thema, das nur Menschen betrifft, die schwanger werden können, doch da gesellschaftlich meist cis Frauen als die Entscheider*innen über Schwangerschaften gesehen werden, sie Babys gebären und so sichtbar neues Leben in die Welt tragen, ist der Appell, dem Klimaschutz zugunsten auf Kinder zu verzichten, im Kern eine antifeministische Argumentation,” erklärt Teresa Bücker. Zeugungsfähige Männer sind in der Gleichung nicht die Egoisten (Bücker).
  8. Beispielsweise schreibt Benjamin Czarniak, der sich als trans* Mann identifiziert, in dem Sammelband „Nicht nur Mütter waren schwanger“ (edition assemblage) über den Schmerz nach seiner ersten Fehlgeburt (Grobner).
  9. Muse hat ca. 2.700 USer*innen: 55% in den USA, 27% in Deutschland, and 13% in anderen Ländern weltweit (Anderson).

Bibliographie

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  • Kochsiek, Marie. “Menstruationszyklen Entziffern: Gunda-Werner-Institut.” Heinrich-Böll-Stiftung, Gunda-Werner-Institut, 18. Jan 2019, www.gwi-boell.de/de/2019/01/18/menstruationszyklen-entziffern.
  • Krüger-Kirn, Helga, und Laura Wolf, Hrsg. Mutterschaft Zwischen Konstruktion Und Erfahrung: Aktuelle Studien Und Standpunkte. Verlag Barbara Budrich, 2018.
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