Nicht alle Schwangeren wollen Eltern werden – umso wichtiger ist es, ein sicheres Angebot für Schwangerschaftsabbrüche zu schaffen und für alle frei zugänglich zu gestalten.
von Jana Maeffert und Dani Nikitenko
Abtreibungsverbote verhindern Schwangerschaftsabbrüche nicht, sie machen sie nur unsicher für ungewollt Schwangere. Dieser Satz sollte mittlerweile allgemein bekannt sein und kann nicht oft genug wiederholt werden. Doch bis heute sind Abtreibungen reglementiert und mit Stigmata belegt. Damit einher geht, dass ungewollt Schwangere schwer oder nur kriminalisiert an korrekte Informationen gelangen. Dieser Umstand erhöht die Gefahr, dass durch Falschinformationen Ängste entstehen und die Sicherheit der ungewollt schwangeren Person gefährdet ist.
Ende der 1980er Jahre gab es eine revolutionäre Entwicklung: die Medikamente Mifepriston und Misoprostol ermöglichen seit 1988 eine sichere Methode der Schwangerschaftsbeendigung, die ohne fremde Hilfe angewendet werden kann. Bis zur Einführung dieser Methode war ein selbstinduzierter Schwangerschaftsabbruch in der Regel mit einem hohen Verletzungsrisiko verbunden. Noch Immer sterben nach Schätzungen der WHO und Ärzte ohne Grenzen mehr als 20.000 Personen jährlich an den Folgen von mechanischen Versuchen, den Uterus zu entleeren, oder an Vergiftungen, die zum Beispiel durch die Verwendung von pflanzlichen Mitteln verursacht werden.1
Der Hauptgrund für jeden dieser Todesfälle ist, dass Entscheidungsträger*innen mit restriktiven Gesetzen einen sicheren Zugang verhindern. Mifepriston ist in vielen Ländern nicht legal erhältlich. Wir können annehmen, dass die (illegalisierte) Bereitstellung von Medikamenten durch NGOs wie der kanadischen gemeinnützigen Organisation Women on Web, die Hilfe und Informationen zu sicherer Abtreibung und Empfängnisverhütung anbietet, in den letzten Jahren tausende von Menschenleben gerettet hat.
Dieser Artikel stellt drei Projekte aus Deutschland vor, die digitale Mittel nutzen, um ungewollt Schwangere zu unterstützen. Entscheidend ist dabei einerseits das Verschicken der Medikamente und andererseits das Bereitstellen von leicht zu verstehenden Informationen hinsichtlich der Möglichkeiten von Schwangerschaftsabbrüchen im Netz.
Wie funktioniert ein medikamentöser Schwangerschaftsabbruch (mSAB)?
Ein mSAB (medikamentöser Schwangerschaftsabbruch) ist das Auslösen einer Fehlgeburt (Abort) durch eine Kombination aus verschiedenen Medikamenten. Dabei erlebt die schwangere Person über einige Stunden eine überregelstarke Blutung, die dann wieder nachlässt. Häufig ist diese Blutung mit krampfartigen Schmerzen verbunden. Nur sehr selten ist außer Schmerzmitteln und liebevoller Zuwendung eine ärztliche Therapie notwendig. Ein mSAB unterscheidet sich außer des gewollten Beginns medizinisch und physiologisch nicht von einer Fehlgeburt.
Der Vorgang läuft dabei wie folgt ab: Für das Auslösen der Blutung nimmt die schwangere Person zunächst eine Tablette Mifepriston ein. Dadurch wird die Wirkung des Hormons Progesteron blockiert, welches für die Erhaltung der Schwangerschaft notwendig ist. Etwa 36 – 48 Stunden später nimmt sie das zweite Medikament Misoprostol ein, das Kontraktionen des Uterus bewirkt und so die Blutung auslöst. Die Medikamente selbst weisen geringe bis keine Risiken wie etwa allergische Reaktionen auf. Bei der Einnahme von Misoprostol treten häufig Nebenwirkungen, wie Übelkeit und Erbrechen, in einigen Fällen auch Kreislaufprobleme auf. Sie verschwinden in der Regel nach wenigen Stunden von alleine wieder. Die Beendigung der Schwangerschaft kann durch einen Ultraschall oder einen speziellen Schwangerschaftstest, der weniger sensibel als ein normaler ist, bestätigt werden. Häufig kommt es nach dem Abbruch noch zu Schmierblutungen, die bis zur nächsten Menstruation anhalten können.
Zahlreiche internationale Studien haben die Sicherheit dieser Methode bewiesen und zeigen zudem, dass die meisten ungewollt Schwangeren die Durchführung zuhause bevorzugen. Dabei ist es für die Sicherheit der Schwangeren unerheblich, ob medizinisches Personal den Prozess begleitet.2 Je früher in der Schwangerschaft die Methode angewendet wird, um so sicherer und verträglicher ist sie. Es ist also entscheidend, wie schnell und zuverlässig die schwangere Person sowohl die richtigen Informationen über die Anwendung als auch die Medikamente bekommt.
Das Projekt “Schwangerschaftsabbruch zuhause”
Das Projekt „Schwangerschaftsabbruch-zuhause.de“ wurde ab April 2020 als Reaktion auf die Covid-19-Pandemie vom Familienplanungszentrum Balance in Berlin, mit Unterstützung vom Verein Doctors for Choice Germany aufgebaut. Die telemedizinische Begleitung bei der medikamentösen Schwangerschaftsbeendigung ist nicht neu und wird schon seit 2006 von Women on Web, die auch benötigte Medikamente versenden, umgesetzt.3
Der Ablauf gestaltet sich wie folgt: Bei einer ersten Kontaktaufnahme via E-Mail oder Telefon wird geklärt, ob die Voraussetzungen für einen Schwangerschaftsabbruch zuhause gegeben sind. Wenn dies der Fall ist, erfolgt der Transfer der Dokumente, die auch bei einem Präsenztermin in einer ärztlichen Einrichtung notwendig sind, über den datensicheren Kommunikationsdienst “medflex”. Notwendig ist beispielsweise die Einreichung des Beratungsscheins eines anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungszentrums, dies ist in Deutschland in über 95 % der Fälle Pflicht für einen straffreien Abbruch. Erst nachdem alle formalen Vorgaben geklärt wurden, können die Medikamente per Post zugestellt werden. Die Patient*innen werden während des Prozesses durch Ärzt*innen via Videoberatung begleitet und erhalten eine Notfallnummer, die sie bei Komplikationen oder drängenden Nachfragen erreichen können.
Das Ziel des Projektes war es, zu zeigen, dass eine telemedizinische Begleitung in Deutschland rechtlich möglich ist und damit auch öffentlich bekannt gemacht werden kann. Die Grenzen des Projektes liegen vor allem bei den institutionellen und rechtlichen – medizinisch jedoch nicht notwendigen – Hürden. Ein digitales Angebot für einen Schwangerschaftsabbruch kann beispielsweise Sprachbarrieren reduzieren sowie den Zugang für von häuslicher Gewalt Betroffene oder für Minderjährige unkompliziert und risikoarm ermöglichen. Um den rechtlichen Bedingungen zu begegnen, arbeitet das Projekt „Schwangerschaftsabbruch zuhause“ allerdings anders als Women on Web. So werden beispielsweise ein Beratungsschein und ein Ultraschallbild gefordert. Dass diese Hürden für einige Personen damit immer noch zu hoch sind, zeigen die deutlich niedrigeren Anfragen als an Women on Web. Während in den Jahren 2020 und 2021 die Anfragen an Women on Web bei über 2000 lagen, waren es bei „Schwangerschaftsabbruch zuhause“ nur ca. 250.
Das Projekt “MedAbb”
Die MedAbb ist eine App, die Patient*innen bei dem medikamentösen Schwangerschaftsabbruch begleitet. Aktuell stehen die Inhalte in sechs Sprachen zur Verfügung. Im Verlauf sendet die App Erinnerungen für die Medikamenteneinnahme, informiert über mögliche körperliche Reaktionen und beantwortet häufige Fragen im FAQ. Die App funktioniert auch offline, alle Daten werden lokal auf dem Gerät gespeichert. Bei der ersten Öffnung der App kann die Sprache ausgewählt werden. Es wird außerdem abgefragt, an welchem Tag das erste Medikament eingenommen wurde. Denn die Folgenachrichten, zum Beispiel die Informationen zur Einnahme des zweiten Medikaments, sind davon abhängig. Die MedAbb wird aktuell überarbeitet und soll im Laufe des nächsten Jahres als Open-Source-Projekt veröffentlicht werden. Bis dahin bleibt die aktuelle Version, die bereits vor 5 Jahren entwickelt wurde, in den App-Stores verfügbar.
Das Projekt “Mehr als du denkst”
Seit März 2021 veröffentlicht die Kampagne „Mehr als du denkst“ Informationen zum Thema Schwangerschaftsabbruch. Eine Gruppe von Aktivist*innen aus dem Bereich Medizin, Psychologie, Medien und Soziologie entwickelt Posts, die auf Instagram und der Webseite veröffentlicht werden. Damit sollen Falschinformationen und dem Schüren von Ängsten von Abtreibungsgegner*innen sachliche Informationen entgegengesetzt werden. Gerade in den Sozialen Medien wirkt das Echo von Abtreibungsgegner*innen besonders nach. Sowohl Mediziner*innen, Politiker*innen und Personen des öffentlichen Lebens, die sich für einen legalen und sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen einsetzen, als auch Personen, die sich öffentlich über ihren eigenen Schwangerschaftsabbruch äußern, sind digitaler Gewalt, wie Hate Speech oder Doxxing beispielsweise, vermehrt ausgesetzt.
Das Wort Doxxing setzt sich zusammen aus den englischen Wörtern „document tracing“ und heißt wörtlich übersetzt „Verfolgen von Dokumenten“. Gemeint ist mit Doxing das Sammeln und Zusammentragen persönlicher Daten im Internet, wie z.B. E-Mail-Adresse, Telefonnummer, Wohnort, Arbeitsstelle, Geburtsdatum, Adresse der Eltern usw. Weitere Informationen zu Digitaler Gewalt wie Doxxing gibt es hier.
Forderung
Das Verschicken von Medikamenten und die Durchführung eines frühen medikamentösen Schwangerschaftsabbruchs zuhause ist sicher. Voraussetzung ist, dass die Medikamente auch tatsächlich die Wirkstoffe enthalten und die kontaktierte Adresse überhaupt existiert. Allein auf der Webseite von Women on Web wird vor etwa 100 Webseiten und Kontaktnummern gewarnt, die potenziell gefährlich für Betroffene sein können. Je restriktiver die Gesetze eines Landes, desto schwieriger ist es für die Betroffenen, seriöse von kriminellen Adressen zu unterscheiden und die gegebenen Informationen zu beurteilen.
Auch im Bereich Social Media kann es bei der Verbreitung von richtigen Informationen zu Problemen kommen. Ein aktuelles Beispiel ist der Post „A Guide to Abortion Pills“ (Ein Leitfaden für Abtreibungspillen) des Unternehmens Loom. Der Beitrag wurde von Instagram gelöscht, Loom hat den Beitrag erneut gepostet und die Schlüsselwörter geschwärzt – erst nach dieser Änderung blieb der Beitrag stehen. Mittlerweile ist jedoch auch dieser Post nicht mehr auf Instagram zu finden.
Eine der zentralen Forderungen an die Politik in Deutschland ist daher, dass sowohl sachliche Informationen als auch die Medikamente leicht zugänglich sein müssen, so dass es für diejenigen, die sie brauchen, gut möglich ist, die Quellen zu prüfen. Darüber hinaus müssen Plattformen wie Instagram in die Verantwortung gezogen werden, damit ein willkürliches Löschen von sachlichen Informationen aus seriösen Quellen nicht einfach passieren kann, während es gleichzeitig keine Regulierung oder Mechanismen zur Bekämpfung von digitaler Gewalt oder Falschinformationen gibt.
Quellen:
- https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/abortion
- https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.11.11.20229377v2, https://www.acog.org/clinical/clinical-guidance/practice-bulletin/articles/2020/10/medication-abortion-up-to-70-days-of-gestation
- https://www.womenonweb.org/en/page/20954/press-release-women-on-web-telemedicine-abortion-service-turns-15