Dieser Artikel ist zuerst im Missy Magazin am 13.01.2022 erschienen. Mit freundlicher Unterstützung des Missy Magazins dürfen wir ihn an dieser Stelle erneut abdrucken.
von Ulla Heinrich mit Bildern von Hairygaze / Anan Fries
Die VR-Arbeit „Virtual Wombs“ fordert die Vorstellung von Frau- und Muttersein radikal heraus.
Eine Schwangerschaft ist für einen Körper eine besondere Erfahrung: Besonders schön, besonders schwierig, besonders herausfordernd. Eine Schwangerschaft kann detailliert geplant werden, kann ein Versehen sein, kann sogar durch Gewalt entstehen. Im schwangeren Körper explodieren die Hormone, er weitet sich und expandiert, ein neues Lebewesen wächst in einem bereits bestehenden Lebewesen heran. Eine Schwangerschaft ist eine extreme Erfahrung.
Welche Körper jedoch schwanger werden, ist in der Gesellschaft klar definiert: Frauenkörper. Denn Schwangersein ist eng mit einer cis normativen Konstruktion von Frau- und Muttersein verknüpft.
Die VR-Arbeit „Virtual Wombs“ von Anna Fries und Malu Peeters fordert diese Vorstellung radikal heraus. In entspannter Atmosphäre werden die Zuschauer*innen in dieser hybriden Theaterperformance auf eine anregende Reise in eine virtuelle Welt geschickt. Dabei geben die Künstler*innen nicht nur wichtige Antworten auf die Frage, von wem eigentlich eine Menschheit der Zukunft geboren wird, die sich von binären und limitierenden Vorstellungen von Geschlecht befreit hat, sondern erproben auch neue theatrale Praktiken an der Schnittstelle von Performance und Technologie.
Ein*e Theater-Zuschauer*in kann mit dem Kauf eines Tickets zumeist auf Gewohnheiten vertrauen. Es gibt einen Publikumsraum, davon getrennt eine Bühne, einen festgelegten Zeitraum, in dem die eigene Aufmerksamkeit mehr oder minder auf das Geschehen auf der Bühne fixiert ist. Hybride Theaterformen verlassen diese gewohnte Matrix und experimentieren mit neuen Macharten entlang der Achsen Theater, Publikum und Technologie.
Für „Virtual Wombs“ nehmen die Zuschauer*innen in einer kreisförmigen Anordnung Platz, mit Abstand versteht sich, jeweils auf einem Drehstuhl. Umgeben sind sie von einer LED-Lampenkonstruktion, die im Verlauf auch selbst Darsteller*in wird. Nach einer liebevollen Begrüßung, die jedes anwesende Leben wertschätzend hervorhebt und verdeutlicht, welch ein unwirklicher Zufall doch jede Existenz eigentlich ist, folgt ein einnehmender Tanz aus blinkendem LED-Licht, der an die klassische Science-Fiction-Erzählung vom Computer mit weiblichem Geist erinnern lässt. In Filmen aus den 1970er-Jahren verlieben sich diese Computer zumeist in ihre Erschaffer, werden eifersüchtig und drehen am Ende völlig durch. Typisch Frau! Doch diesen sexistischen Vorstellungen von Gender und Technik setzen Fries und Peeters mit inszenatorischer Feinheit neue Narrative entgegen. Das Spiel des LED-Lichts gibt den Zuschauer*innen die Chance anzukommen und zeigt an: Als nächstes wird eine immersive Technologie übernehmen. Nicht alle Zuschauer*innen haben Erfahrungen mit virtuellem Theater, daher ist diese Akklimatisierung ein notwendiger, gekonnter Teil der Inszenierung.
Die Grenzen zwischen den Macher*innen und Teilnehmer*innen der gemeinsamen performativen Erfahrung verschwimmen, die Technikpults und die Menschen, die diese bedienen, sind am Rande der Zuschauer*innen-Fläche sichtbar. Technik wird so entzaubert, wir sehen was funktioniert und nicht funktioniert, wer agieren muss, damit die Inszenierung läuft. Dies ist insofern ein feministischer Ansatz im Umgang mit Technik, da es die patriarchale Strategie offenlegt, Technik als so schwierig (und auch irgendwie mystisch) zu konstruieren, dass angeblich nur Männer diese bedienen können.
Die Szenerie erinnert an eine Flugzeugreise mit Fluggästen, die diese Erfahrung zum ersten Mal machen. Eine körperlose Stimme erklärt, wie die VR-Brille zu nutzen ist, dass es durchaus dazu kommen kann, dass mensch körperlich auf die VR reagiert, dass einem*r sogar schlecht werden kann. Diese Ansagen sind eine Mischung aus den Sicherheitsvorkehrungen im Flugzeug und Awareness-Zetteln in Clubs, ebenfalls eine feministische Errungenschaft, um FLINT-Personen zu empowern, aufeinander zu achten und sich gegenseitig zu informieren, wenn etwas nicht in Ordnung ist.
Insgesamt gibt das Stück großzügigen Raum zum Durchatmen. Die fast sechzig Minuten vergehen – analog zur Atmosphäre der Inszenierung – wie im Flug, was der angenehmen und entspannten Ansprache sowie den anregenden Inhalten zu verdanken ist. Sobald wir die VR-Brille aufgesetzt haben, fliegen wir durch einen Geburtskanal, sozusagen rückwärts in eine Welt, in der wir verschiedene schwangere Avatare antreffen. Eines haben diese Wesen alle gemeinsam: Sie existieren außerhalb der körpernormativen cis hetero Narration über Schwangerschaft, sie sind nichtbinär, sie sind trans, sie sind behindert. Welcher der Charaktere wirklich schwanger ist und welcher von den Macher*innen virtuell geschwängert wurde, bleibt dabei unbenannt.
Wir dürfen die Schönheit und transformativ-emanzipatorische Kraft des posthumanen schwangeren Körpers bewundern. Als Zuschauer*innen können wir uns in den Welten und Szenen angeleitet bewegen – in der Offline-Welt wirbeln wir auf unserem Drehstuhl herum und schauen nach oben und unten. Wir fühlen, dass wir im Inneren von etwas sind. Sei es ein Uterus, ein Computer oder ein Traum. Die virtuellen Wesen, auf die wir in dieser Welt treffen, sind größer als wir. Ihre schwangeren, nichtbinären und trans Körper sind wunderschön, mächtig und ermächtigt. Wir dürfen schauen, wir sollen hinsehen. Die Figuren wandeln an uns vorbei oder sogar durch uns hindurch. Sie brauchen unsere Bestätigung nicht, aber wir dürfen etwas von ihnen lernen. Darüber, welche Pluralität an Körperrealitäten und Erfahrungsräumen für Schwangerschaft grundlegend ist, wenn wir uns aus dem engen Korsett geschlechtlicher Binarität befreien und einen Schritt in die Zukunft wagen.
Zwischen den Szenen, die mit der VR-Brille in der virtuellen Welt erlebt werden können, finden kurze performative Sequenzen im Theaterraum statt. Der Kontrast zur virtuellen Welt, durch die wir körperlos hindurchfließen und in der wir keine eigenen Körper haben, wenn wir mit der VR-Brille an uns selbst herunterschauen, macht diese Performance in besonderer Weise anziehend. Selbst eine der Personen, die wir in der virtuellen Welt kennengelernt haben, sitzt plötzlich leibhaftig im Zuschauer*innenraum, sodass jeder Schweißtropfen, jeder Atemstoß und jede Bewegung den nicht-virtuellen Körper ganz konkret in Kontrast zum virtuellen Körper setzt.
Die Performer*in bewegt sich durch die Zuschauer*innen, eine plötzliche immersive nicht-digitale Erfahrung, kommen wir doch aus einer virtuellen Welt, in der Sinneseindrücke sehr abstrakt sind, da wir nur mit zwei Sinnen (Hören und Sehen) operieren. Die Performancesequenzen erden die Zuschauenden im Hier und Jetzt zwischen den Fahrten in der virtuellen Welt.
Im Gegensatz zu gängigen Klischees, ist Humor ein wichtiger Aspekt feministischer Kunst. Deshalb begegnet uns im virtuellen Teil von „Virtual Womb“ auch immer wieder „Dolly“, ihreszeichens weltberühmtes Schaf und erstes vollständig geklontes Säugetier. Damit wird eine der zentralen feministischen Utopien thematisiert: Menschen mit Uterus können nur frei sein, wenn sie auch von der Gängelung der Reproduktion körperlich befreit werden. Dass Szenarien wie das dystopische Fötusfeld im Science-Fictio-Epos „Matrix“ auf Fragen nach Reproduktion außerhalb des menschlichen Uterus nicht die einzige Antwort ist, zeigt uns „Virtual Wombs“. Natur und Technologie stehen nicht im Kontrast zueinander, die Post-Humanen Körper reihen sich reibungslos in diese „New Reality“ ein.
Mit „Virtual Wombs“ haben Fries, Peeters und ihr Team wichtige Impulse dafür entwickelt, wie hybride Performances im Theater heute aussehen können, wie das Publikum in einer immersiven performativen Situation begleitet werden kann, und welche dramaturgischen Ansätze notwendig sind, wenn ein Theaterstück zwischen virtuell und IRL wechselt. Die angebotenen Transformationen und Mutationen des schwangeren Körpers sind auch auf das Theater an sich zu beziehen, das nun, nach zwei Jahren der pandemiebedingten Spielunfähigkeit, Technologie als gesellschaftliche Kraft und theatrales Mittel endlich ernst nehmen dürfte.
Die virtuelle Reise beginnt und endet in einem digitalen Geburtskanal, aber ob wir nun neu geboren wurden oder uns doch lieber in den Bauch unserer digitalen Übermutter zurückziehen, bis eine bessere Zukunft begonnen hat, das bleibt uns überlassen.