Aus der Sicht einer Hebamme, Wissenschaftlerin, Mutter und Gründerin
Schwangerschaft und Geburt als Sonderfälle im digitalen deutschen Gesundheistwesen befeuern alte heteronormative Rollenbilder. Doch feministische Technologien können Abhilfe schaffen.
von Mirjam Peters
Schwangerschaft und Feminismus
Die Zeit der Schwangerschaft ist aus feministischer Sicht ein besonderer Zeitraum. Wieso?
- Ein zentrales Anliegen des Feminismus ist die Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Dies spielt auch bei erwünschten Schwangerschaften und Geburten eine besondere Rolle und betrifft beispielsweise Themen wie Gewalt während der Geburt, Untersuchungen und Interventionen in der Schwangerschaft oder auch tradierte Normen und Regeln des Verhaltens.
- Die Schwangerschaft ist ein Lebensabschnitt mit besonderen physischen und psychischen Risiken und Belastungen, zum Beispiel durch Beschwerden, Erkrankungen oder Operationsrisiken. Davon sind nur Menschen mit Uterus betroffen.
- Die Schwangerschaft und das erste Jahr mit Kind ist ein Zeitraum, in dem viele Entscheidungen für den eigenen Lebensentwurf und die eigene Familienkonstellation getroffen werden. Diese haben zumeist starke Auswirkungen auf das spätere Leben, wie z.B. Elternzeit, Vollzeit-/Teilzeitarbeit, Verteilung der Care Arbeit, oder Mental Load.
- Eine Schwangerschaft ist auch ein Privileg. Schwanger werden können nicht alle Menschen, oftmals auch nicht diejenigen, die sich ein Kind wünschen.
Die Rolle der Digitalisierung in der Schwangerschaft
Mit der zunehmenden Digitalisierung im Gesundheitsbereich spielen auch Apps eine immer größere Rolle in der Schwangerschaft und damit auch bei der Gestaltung dieser Zeit. Aktuell nutzen ca. 75% der Schwangeren verschiedene Apps. Doch leisten diese einen feministischen Beitrag?
In einer der vielen kostenfreien Apps werde ich wie folgt begrüßt: „Hey Mummy, hat dein Daddy schon das Babybett aufgebaut?” Die Bildsprache ist rosa, zu sehen ist eine schlanke Frau im engen Kleid mit prallem Bauch und wehenden Haaren. Auf ihrem Bauch liegt eine männliche Hand mit Ehering.
Der erste Eindruck suggeriert also ein eher traditionelles heteronormatives Bild statt eines von Selbstbestimmung und Feminismus. Doch wie geht es besser?
Meine Mitgründerin Elena Kirchner und ich haben 2020 an der Hochschule für Gesundheit in einem Transferprojekt uma als App für die Schwangerschaft entwickelt und anschließend als Unternehmen ausgegründet, um sie langfristig verfügbar zu machen.
Dabei war unser Ziel, eine App zu entwickeln, um Selbstbestimmung und eine hochwertige wissenschaftlich-medizinische Versorgung in einer bedeutsamen und Weichen stellenden Lebensphase zusammenzudenken. Dabei war es uns wichtig, individuelle Hilfestellung zu leisten und auch prägende Strukturen sichtbar zu machen.
Selbstbestimmung: Schwangere dürfen Entscheidungen für sich, ihren Körper und ihr Kind treffen
Um wirklich selbstbestimmte Entscheidungen treffen zu können, zum Beispiel für Verhaltensänderungen, Untersuchungen, den Geburtsort oder die Art zu gebären, benötigt es verschiedene Voraussetzungen. So müssen klare und verständliche Informationen zu verschiedenen Optionen sowie deren Vor- und Nachteilen vorliegen, damit eine Entscheidung getroffen werden kann.
Die Beratung dazu muss ergebnisoffen sein. Immer wieder berichten Schwangere jedoch, dass sie überrascht sind, dass man Vorsorgeuntersuchungen nicht machen muss.
Dabei spielt es auch eine Rolle, welche Informationen präsentiert werden. Auf vielen Blogs ist zu lesen, welche geburtsvorbereitenden Maßnahmen wann und wie genau durchgeführt werden können (Louwen Diät, Himbeerblättertee, usw.). Für viele dieser Maßnahmen gibt es keine wissenschaftlichen Nachweise oder die Auswirkungen der Maßnahmen sind eher gering. Dies suggeriert Schwangeren jedoch, dass sie damit etwas beeinflussen könnten: Bereite ich mich nicht gut genug vor, bin ich selbst schuld, wenn es nicht gut läuft. Dies vernebelt die viel wichtigere Bedeutung der Strukturen der Geburtshilfe und die Art der Begleitung der Geburt. Anders gesagt: Die Tür, durch die ich zur Geburt gehe, ist viel bedeutsamer für das Risiko einer Dammverletzung als vorbereitende Dammmassagen.
Auch die Art der Ansprache prägt mögliche Reaktionen darauf. Werden Schwangere verniedlicht, eingeschüchtert, von oben herab angesprochen oder wird ihnen suggeriert, sie verstehen gewisse Abläufe oder relevanten Themen ohnehin nicht, wird der mögliche Reaktionsraum kleiner. Es kann dazu führen, dass sie sich klein oder unsicher fühlen oder nicht nachfragen, obwohl es Fragen gibt.
Hier benötigt es gute und klare Informationen und eine Ansprache auf Augenhöhe – sowohl von Fachpersonen im persönlichen Kontakt als auch im Digitalen.
Hochwertige gesundheitliche Versorgung
Eine gute gesundheitliche Begleitung bedeutet, die Gesundheit und die Ressourcen zu fördern und Risiken und Erkrankungen frühzeitig zu erkennen und falls notwendig zu behandeln. Zudem gibt es in der Schwangerschaft eine Vielzahl von Belastungen und Beschwerden. Hier eine möglichst wirksame Behandlung anzubieten, bedeutet Entlastung für die Betroffenen.
Jedoch gibt es in der Schwangerenvorsorge auch Untersuchungen, die aus wissenschaftlicher Sicht nicht sinnvoll sind oder von denen sogar abgeraten wird. Sie werden trotzdem häufig durchgeführt, wie routinemäßige CTG-Untersuchungen vor dem errechneten Termin, mehr als drei routinemäßige Ultraschalluntersuchungen oder routinemäßige vaginale Untersuchungen. Diese führen auch zu einer unnötigen Pathologisierung der Schwangerschaft und lenken die Wahrnehmung dieser in eine bestimmte Richtung.
Digitale Angebote können sowohl Hilfe bei Beschwerden und Hilfe zur Früherkennung bieten als auch über den Sinn – oder auch Unsinn – von Untersuchungen sachlich informieren.
Eine Wahl haben: Familienkonstellationen und Lebensentwürfe
Bilder und die Art der Sprache festigen – häufig unbemerkt – unsere Vorstellung davon, was falsch und was richtig ist. So bedienen sich digitale Informationsmaterialien in Apps oder auf Websites häufig den immer selben heteronormativen Familienkonstellationen, Hautfarben, Stimmungen, Kulturen und Körperformen. Häufig wird ein Vater angesprochen – von Partner:innen ist jedoch seltener die Rede. Eine inklusive, diverse Gestaltung von Bild und Sprache kann dabei helfen, vielfältige Realitäten zu erzeugen und sie einfacher lebbar zu machen.
Die uma – App im Kontext des deutschen Gesundheitswesens
Mit der uma-App versuchen wir alle diese Punkt in einem digitalen Produkt umzusetzen und doch sind unsere Möglichkeiten aktuell begrenzt. Im deutschen Gesundheitswesen wurden in den letzten Jahren die Möglichkeiten ausgebaut, dass Krankenkassen die Kosten für Apps übernehmen oder erstatten, u.a. um damit die Souveränität von Patient:innen zu stärken. Bei den Gesetzen wurden sowohl Apps für Krankheiten als auch Präventionsapps bedacht. Nicht jedoch Schwangerschaft und Wochenbett. Als „Sonderfälle“ im deutschen Gesundheitswesen werden diese Punkte häufig nicht mitbedacht und fallen dann durch neue Initiativen durch. So bleibt auch die uma App aktuell eine Selbstzahler:innen-App. Das bedeutet, sie ist nur für eine bestimmte Zielgruppe verfügbar und kann aktuell auch nicht weiter ausgebaut werden. Für viele Firmen lohnen sich damit günstige Apps, die als Werbeplattform funktionieren, mehr als hochwertige Apps, die die Selbstbestimmung und gesundheitliche Versorgung fördern.
Es zeigt sich, dass die Versorgung rund um die Geburt und die Versorgung durch Hebammen in Gesetzen und regulatorischen Prozessen noch immer nicht regulär mitgedacht werden. Für eine gute Versorgung von Menschen rund um die Geburt braucht es diese wichtigen Weichenstellungen.