Schlagwort: Hebamme

  • Care & Digitalisierung. Reproduktion in der digitalisierten Gesellschaft. Eine Einleitung

    Care und Digitalisierung weben ein Netz vielfältiger Zusammenhänge. Umso wichtiger erscheint dabei eine genuin netzfeministische Perspektive, die Sorgearbeit in einer umfassenden Digitalisierung vielfältiger Lebensbereiche ernst nimmt.

    von Ann-Kathrin Koster und Hannah Lichtenthäler

    In der Mitte ist ein Smartphone Bildschirm, darin abgebildet, über den Bildrand hinausragend sitzt eine Person im Schneidersitz, mit den Armen auf den Knien abgelegt, kurze blonde Haare, blaue Jeans, weißes Tshirt. Mit Linien und Icons verknüpft gehen weitere Bilder um das Smartphone herum. Unten rechts halten drei Demonstrierende die Verdi Fahnen hoch, darüber ist eine Schwarze Faust zu sehen. Darübe recht oben in der Ecke ist ein Bild mit sechs Kacheln von einer Videokonferenz zu sehen. Links oben in der Ecke ist eine Ärztin mit Headscarf zu sehen. Davon geht ein Bild mit drei Pillen ab, darunter eines mit einer Hand, die eine Pille und ein Glas Wasser hält. Darunter ist ein positiver Schwangerschaftsatest sowie ein Eierstock mit eingenisteter Eizelle sowie darunter einem Fötus im Uterus zu sehen.
    Illustration: Lucie Langston

    Care-Arbeit ist ein Kosmos unterschiedlicher Tätigkeiten: Sorgearbeit ist reproduktive Arbeit, insofern, als dass sie auf den Erhalt menschlichen Lebens abzielt und damit einen wesentlichen Beitrag zur Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung leistet. Wenn Kinder nicht mehr den Weg in die Schule finden, Lebensmittel nicht mehr eingekauft und die Eltern nicht mehr unterstützt werden, dann stehen die Mühlen der Gesellschaft still. In all jene Felder halten digitale Anwendungen und Unterstützungen Einzug – sei es, weil wir unsere Lebensmittel bequem per App bestellen und nach Hause liefern können und auch die Reinigungskraft ganz unkompliziert per App vermittelt zu uns nach Hause kommen kann. Dienstleistungsangebote, die uns reproduktive Arbeiten abnehmen, werden in schier unendlichem Maße in die dafür vorgesehenen App-Stores gespült (Flink, Gorilla, Helping, etc).

    Das ist jedoch nur ein kleiner Teil dessen, was sich über das Ineinandergreifen von Care und Digitalisierung betrachten lässt. Die Idee zum Dossier entstand vor der Beobachtung einer zunehmenden digitalen Begleitung des Prozesses des Eltern-Werdens und Eltern-Seins, aber auch der Entscheidung, nicht Eltern werden zu wollen. Einerseits geschieht dies in Form von Apps: Zyklus-Apps, Apps zur Verfolgung der Entwicklung des Fötus, zur Förderung der mentalen wie physischen Gesundheit während der Schwangerschaft, oder zur Förderung der Selbstbestimmung in der Schwangerschaft und während der Geburt. Andererseits bilden auch digitale Communities vor allem in sozialen Medien wie Instagram, Facebook oder Twitter einen wesentlichen Bezugspunkt reproduktiver Arbeit. Sie stellen neue Informationsnetzwerke dar, in denen Gleichgesinnte sich verbinden, Hilfe und Rat suchen, aber auch Anregungen und Empfehlungen aussprechen. Es entstehen neue Welten der #momtobe, #momsofinstagram oder der #momoftwo. Soziale Plattformen werden so zu zentralen Anlaufstellen für alle Neu-Eltern oder auch derjenigen, die keine werden wollen oder es sogar bereuen – #regrettingmotherhood. Darüber hinaus gibt es auch Apps, Menschen mit Kindern in ihrer Umgebung zusammenzubringen, um zu erleichtern andere Eltern kennenzulernen, eine Dating-App für Playdates mit den Kids sozusagen. 

    Hinter diesen Prozessen stehen grundlegende Forderungen feministischer Bewegungen, die zwar in unterschiedlichen Kontexten entstanden sind, doch trotzdem Gemeinsamkeiten aufzeigen. Es geht dabei vor allem um das Aufbrechen von patriarchalen Machtstrukturen und Ungleichheitsverhältnissen, die Diskriminierung fortführen und Ausschlüsse festigen und damit vor allem marginalisierte Personen aus den LGBTIQ+ und BIPoC Communities betreffen. Feministische Netzpolitik beschäftigt sich vor allem mit Fragen bezüglich Zugang zum und Teilhabe am Internet und digitalen Inhalten, Urheberrecht, Datenschutz, Überwachung, digitaler Öffentlichkeit sowie der Bekämpfung digitaler Gewalt.1 Diese grundlegenden feministischen Kämpfe um Zugang, Teilhabe, Repräsentanz, Sichtbarkeit, Schutz vor Überwachung und Gewalt finden sich auch in der Bewegung reproduktiver Rechte und sexueller Selbstbestimmung wieder. Darüber hinaus geht es auch um Gerechtigkeit, weshalb das Dossier auch auf das Konzept der reproduktiven Gerechtigkeit blickt, das in den 90er Jahren im Schwarzen Feminismus der USA entstand mit dem Ziel reproduktive Rechte mit sozialer Gerechtigkeit zu verknüpfen.2 Ziel dieses Dossiers ist es, Gemeinsamkeiten beider Konzepte herauszustellen und nach Visionen für eine gerechte, feministische, digitale Zukunft für alle Menschen – ob mit oder ohne Kinderwunsch – Ausschau zu halten. 

    Wir widmen uns reproduktiver Arbeit vor allem hinsichtlich der Rolle als Eltern – nicht nur bedingen Phasen der Schwangerschaft und damit letztlich die Geburt den Start neuer Beziehungsgeflechte – die Eltern-Kind-Beziehung wie auch Beziehungen zu anderen Eltern –, sie bringen im weiteren Verlauf mitunter auch neue reproduktive Tätigkeiten mit sich. Das umfasst sowohl die Arbeit und die Sorge um den eigenen Körper im Verlauf der Schwangerschaft wie auch die Sorge um das Heranwachsen des neuen Menschen, als auch im Anschluss daran die Umsorgung der Kinder und damit verbunden notwendigerweise weiterer anfallender Arbeiten. Neben den konkret materialistischen Aspekten wird der Prozess jedoch auch von neuen Zuschreibungen begleitet. Hier spielen Rollenerwartungen an (Nicht-)Eltern ebenso eine Rolle wie Geschlechterstereotype. Eltern-Werden oder -Sein geht auf besondere Weise mit der Perpetuierung verschiedener Geschlechterrollen einher – sei es das vermeintliche „Mutterideal“ oder das Sprechen über die neue „Vaterrolle“ oder aber das Ziel der Vereinbarkeit oder der gerechten Aufteilung von Care-Arbeit.

    Wie steht es also um reproduktive Gerechtigkeit in Zeiten umfassender Digitalisierung? Welches Bild von Schwangerschaft und Elternschaft entsteht etwa in sozialen Medien? Trägt dieses zur Selbstermächtigung und Selbstbestimmung in Bezug auf Reproduktion bei? Wie wird Sorgearbeit vermittelt und inszeniert? Wir fragen aber auch danach, welche Angebote zur Unterstützung von Sorgearbeit und reproduktiver Rechte digitale Infrastrukturen bieten und wie diese genutzt werden können, ein realistisches Bild von Sorgearbeit zu zeichnen und dadurch gerade eine gerechte Aufteilung zu fördern und so emanzipative Momente zeitigen. 

    Digitale Angebote – allen voran das Internet und speziell die sozialen Medien – stellen gegenwärtig einen zentralen Ort des Informationsaustausches und damit der Wissensvermittlung dar. Neue Rollen und neue Arbeiten müssen gelernt, routiniert und internalisiert werden. Digitalisierung hilft dabei, indem wir uns binnen Sekunden unzählige Informationen erklicken können. In schnelllebigen Formaten und kurzen Texten, wie sie in sozialen Medien vorherrschen und eine große Reichweite erzielen wollen (#tl:dr), sind Stereotypen häufig zu finden. Deutlich wird: Die Verrichtung von Care-Arbeit ist in hohem Maße begleitet von Zuschreibungen. Weit verbreitet und tief verankert ist etwa die Annahme, Frauen seien in besonderem Maße für die Verrichtung von Sorgearbeit geeignet, da sie besonders liebevoll, sensibel und auf die Bedürfnisse anderer ausgerichtet seien. Frauen, also weiblich sozialisierte Personen, seien qua Natur dahingehend veranlagt, die Bedürfnisse von anderen zu befriedigen. Gleiches gilt für die Zuschreibung als Mutter – Mütter sollen gerade ihre Kinder selbst betreuen, sie sollen aufopferungsbereit sein und Kindern ein liebevolles Zuhause geben. Das schließt nicht selten die Notwendigkeit eines “perfekten” Familienheims ein. All jene Zuschreibungen, imaginäre wie auch stereotype, werden in sozialen Netzwerken propagiert, zur Schau gestellt und letztlich auch zum Gegenstand gesellschaftlicher Auseinandersetzung und Kritik.  Mit solchen Stereotypen bricht der Twitteraccount @MayamitKind. Erzählt wird hier der Alltag einer polyamoren Patchwork-Familie aus der Sicht einer trans Mama. In ihrem Audiobeitrag schildert Maya den (nicht)emanzipativen Zusammenhang von Care-Arbeit und Digitalisierung. Maya spricht hier vor allem über die Bedeutung queerer Eltern-Communities in sozialen Netzwerken und den gleichzeitigen Herausforderungen im Umgang mit digitaler Gewalt in ebendiesen Räumen. Im Wiederabdruck des Missy-Artikels “Wer wird die Menschheit der Zukunft zur Welt bringen?” fordern Ulla Heinrichs und Anan Fries den engen Zusammenhang von Schwangerschaft und Weiblichkeit heraus, indem sie die Idee eines transhumanen Körpers durchspielen und so Schwangerschaft in nicht-binären Kategorien denken.

    Lange schon hält sich die Beobachtung, dass gerade in heterosexuellen Beziehungen die Geburt von Kindern zu Re-Traditionalisierungsprozessen führe. Gemeint ist damit der Umstand, dass es überwiegend Frauen sind, die die neu anfallenden Tätigkeiten – insbesondere die Betreuung der Kinder – übernehmen – und das, obwohl sie in gleichberechtigten Beziehungen leb(t)en. Damit schreibt sich entgegen einer vermeintlichen Annahme einer zunehmenden Gleichberechtigung der Geschlechter vielmehr eine „Persistenz geschlechterdifferenzierter Arbeitsteilung“ fort (Müller/Zilien 2016: 410). Doch wie lässt sich dies erklären? Unterschiedliche Untersuchungen zeigen, dass dies bereits gefördert wird, bevor Kinder überhaupt geboren werden. Schwangerschaften sind hierbei also ein besonders sensibler Zeitraum, was eine mögliche paritätische Aufteilung von Care-Arbeit betrifft. So zeigten etwa Studien, dass eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung bereits in Geburtsvorbereitungen angestrebt werde, vor allem durch gezielte Ansprachen von Männern und Frauen und damit verbundenen traditionellen Zuschreibungen. Ein wichtiges Stichwort ist in diesem Kontext “mental load” – gemeint ist hier die Verantwortung, die mit der Organisation von alltäglichen Aufgaben einher geht, wobei diese kognitive Sorgearbeit als besonders belastend empfunden wird. Neben der aktiven Arbeit fallen hier vor allem das Drandenken und Nicht-Vergessen, das Kontrollieren und Nachfragen ins Gewicht. In ihrem Audiobeitrag geht Jo Lücke für uns genauer auf den Zusammenhang von Mental Load und Digitalisierung ein. Um genau diese (un)gerechte Aufgabenteilung plastisch zu veranschaulichen hat Johanna Fröhlich Zapata den Care-Rechner entwickelt. Ein erster Schritt kann, wie sie sagt, ​​”das Sichtbarmachen” eben jener ungerechten Verteilung sein. In ihrem Audiobeitrag stellt sie uns das Rechentool vor und erklärt, was sie zur Programmierung bewegt hat. 

    Solche Zuschreibungen schreiben sich in sozialen Netzwerken als Lernorte zukünftiger Eltern fort. Gerade hier lässt sich hinsichtlich zukünftiger Elternrollen eine Re-Traditionalisierung beobachten. Es sind zudem hauptsächlich weiße cis-Frauen in normativen Körpern, die ein traditionelles heteronormatives Bild von Familie vermarkten. Dies reproduziert Ausschlüsse von u.a. BIPoC Personen, nicht-binären Eltern, trans* Eltern oder queeren Eltern, die in diesem normativen Narrativ so gut wie nicht vorkommen. Das ist besonders heikel, da gerade werdene Eltern – und dabei insbesondere Mütter –, so Friederike Jage-D’Aprile, vermehrt nach Informationen auf sozialen Medien suchen und diese Plattformen auch von vor allem weißen, weiblich gelesene Personen in cis-heternormativen Beziehungen mit Beiträgen über Schwangerschaft, Kindererziehung und Care-Arbeit bespielt werden. So wird deutlich, dass gerade soziale Medien das Bedürfnis nach Wissen zu den Umständen des Familienlebens, von Schwangerschaft, Kindererziehung und Elternschaft zunehmend befriedigen – sie tun dies aber, wie Lisa Trautmann in ihrem Beitrag  schreibt, indem sie „Frauen- und Mutterrolle[n] transportier[en], die eher den normativen Erwartungen von 1950 als 2020“ entsprechen. An vorderster Front steht die aufopferungsvolle Mutter, die sorglos Kinderbetreuung und Haushalt meistert – und wenn es gewünscht ist oder sein muss, auch gleich die Rolle einer erfolgreichen Unternehmerin verkörpert. Für solche Rollenbilder hat sich auf sozialen Medien der Begriff der erfolgreichen #Instamoms etabliert. Zwar zeigen auch die großen Profile hier und da Brüche im idyllischen Alltag – seien es Momente der Überforderung oder des Misslingens –, in erster Linie verkörpern sie alle jedoch ein Familien- bzw. Mutterideal, wie es auf sozialen Medien gesucht und erwartet wird: Perfekt, glanzvoll und zum Wohlfühlen, Probleme der Vereinbarkeit haben hier keinen Platz. Lisa Trautmann verwendet hier nicht als einzige die Zuschreibung einer toxic positivity. Im Wiederabdruck des Beitrags “KI can’t care. Mütterlichkeit im Zeitalter Künstlicher Intelligenz” von Hannah Lichtenthäler dass Mutterschaft in feministischen Diskursen oft als ein Randthema gilt. Sie setzt sich auf einer breiteren Ebene mit Bilder von Mutterschaft und Mütterlichkeit in digitalen Medien und im Kontext intelligenter Technologien auseinander und wie diese Wege aufzeigen könnten, das Thema aktiver in feministische Kämpfe einzubinden.

    Dabei sollten wir nicht vergessen, dass soziale Medien meist von großen Tech-Unternehmen programmiert und bereitgestellt werden. Wie Lena Weber in ihrem Audio-Beitrag aufzeigt, besteht ein enger Zusammenhang zwischen ökonomischen Strukturen und Erwerbsarbeit, der sich auch im Digitalen fortschreibt. Hierbei gewinnt gerade jenes Unternehmen, welches die meisten und detailliertesten Daten über die eigenen User*innen generiert und diese gewinnbringend an Kund*innen vermitteln kann – damit diese wiederum gezielt Werbung für einen ausgewählten Personenkreis schalten und so den eigenen Absatz steigern. Gerade mit der Präsentation idyllischer Familienbilder und einer gelingenden Vereinbarkeit von Familie und Beruf lässt sich eine Vielzahl an Bedürfnissen befriedigen. Sie stillen gerade in Krisenzeiten die Sehnsucht nach Normalität und lenken vielfach von den eigenen Problemen ab. Sie bieten vielfach Möglichkeiten zur Flucht aus der Realität – Wissensvermittlung und soziale Praktiken von Elternschaft sind somit in spezifische ökonomische Strukturen und damit zusammenhängende Interessen eingebettet. Soziale Medien sind auf das engste mit der Generierung von Einnahmen großer Tech-Unternehmen verbunden – und in diesem Kosmos nehmen eben jene reichweitenstarken #Instamoms eine wesentliche Rolle ein: Die Präsentation ihres privaten Familienlebens wird zum Beruf und ihr Handeln unterliegt nunmehr auch in hohem Maße ökonomischen Zwängen. Wie Ute Kalender in ihrem Beitrag aufzeigt, besteht die Arbeit solcher “digitalen Hausfrauen” an dem unermüdlichen Posten von Beiträgen, dem Liken anderer Beiträge und dem Aufrechterhalten sozialer Netzwerke – dabei ist ein Großteil ihrer Arbeit jedoch nicht entlohnt, wie Ute Kalender schreibt, denn ein nicht unwesentlicher Teil “ihrer erwirtschafteten Gewinne geht […] nicht an sie sondern als Profite an die Plattformbesitzenden und Unternehmen. Mark Zuckerberg gehört bekanntlich zu den reichsten Menschen der Welt.” Diesen Eindruck unterstützt Chris Köver in ihrem Audiobeitrag. Über das Klicken und Liken hinaus, geht es vor allem darum digitale Sorgearbeit als solche anzuerkennen und zu verdeutlichen, dass Mikropraktiken auf sozialen Medien – das umfassende kommentieren und moderieren von Kommentaren unter Posts, das Anzeigen von Hassnachrichten und diffamierenden Bildern, das füreinander Dasein unter Betroffenen von digitaler Gewalt – zentrale Stütze des Plattformkapitalismus darstellen. 

    Wir sollten also die Aktivitäten und das Engagement in sozialen Netzwerken nicht lediglich als eine Form von Eskapismus abtun. Vielmehr sollten wir die sich dort entfaltenden Praktiken gerade in ihrer wirklichkeitsstiftenden Wirkung ernstnehmen. Durch die Präsentation spezifischer Geschlechterrollen wird ein Normalzustand konstruiert und festgeschrieben, der kaum Platz neben heterosexuellen Familienidealen lässt. Andere, realgelebte Modelle wie Freund*innenschaft, Patchwork, Alleinerziehende, Mehrelternschaft oder Wahlfamilien werden nicht nur ausgegrenzt, sondern fallen so hinter die gegenwärtig gelebte Realität weit zurück.

    Doch die Strukturen der Wissensvermittlung im Digitalen sind vielfältig und dürfen nicht allein als in der Tendenz konservativ interpretiert werden. Die Vermittlung notwendiger und zum Teil lebensrettender Informationen geschieht über soziale Netzwerke hinaus. Gerade hier nehmen unterschiedliche digitale Infrastrukturen eine wichtige Rolle ein. Das zeigen etwa Initiativen wie Women on Web, die sich bereits seit 2005 für die Vermittlung von Informationen zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen einsetzen und sich somit als digitales Beratungsangebot im Bereich der sicheren Abtreibung verstehen. Darüber hinaus unterstützt die kanadische gemeinnützige Organisation jedoch auch aktiv bei Abbrüchen: Sie bieten weltweit Online-Beratungen für Schwangerschaftsabbrüche an und leben so den ursprünglichen Netzwerk- und Emanzipationsgedanken des frühen Internets. Dabei hat sich die Arbeit von WoW professionalisiert: von einer Webseite des “pure[n] Chaos, sie war eine Art unzusammenhängendes Notizbuch von Rebecca [Rebecca Gomperts, die Gründerin von WoW], bestehend aus einer eklektischen Mischung von Texten und Bildern”, zu einem weltweiten digitalen Unterstützungsnetzwerk. Sie ist Raum persönlicher Erfahrungen und Geschichten, Ort wissenschaftlicher Informationen und Möglichkeit telemedizinischer Abtreibungen. Sie verstehen sich damit als Advokat*innen einer emanzipativen Gesundheitspolitik, die sich die Möglichkeitsräume digitaler Anwendungen in ermächtigender Weise zu eigen machen. Ebenfalls der Vermittlung sicheren Wissens rund um Schwangerschaftsabbrüche verschrieben haben sich Doctors for Choice – sie wollen ihr in langjähriger Erfahrung gesammeltes Wissen aus der Praxis im Sinne reproduktiver Rechte und Gerechtigkeit einsetzen. Dazu gehört in besonderem Maße, über die Möglichkeiten und Bedingungen von Abtreibungen zu informieren. In ihrem Beitrag für das Dossier stellen Jana Maeffert und Dani Nikitenko Informationen über den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch insbesondere in Deutschland zusammen und schildern, wie dieser digital begleitet und unterstützt wird. Sie machen deutlich, dass ein selbstbestimmter Abbruch in der eigenen vertrauten Umgebung nicht nur rechtlich möglich, sondern auch sicher und für die betroffenen Personen oftmals die richtige Wahl ist. Dabei ist auch diese Form der Wissensvermittlung nicht frei von Komplikationen So schildern WoW wie auch Doctors for Choice Probleme mit Falschinformationen, Abtreibungsgegner*innen oder Berichten von der Unterdrückung oder Löschung ihrer Informationen. Deutlich wird hier, wie umkämpft die Verbreitung von Wissen in digitalen Räumen ist, speziell über körperliche Selbstbestimmung und reproduktive Rechte, und dass aufklärerische und emanzipative Arbeit bis heute von Hürden und Schwierigkeiten geprägt ist. Derya Binışık richtet in ihrem Audiobeitrag ihren Blick ebenfalls auf reproduktive Gerechtigkeit im Kontext der digitalen Transformation, konkret mit Blick auf Reproduktionstechnologien. Gerade in diesem Kontext gelte es, alle Akteur*innen in den Blick zu nehmen und strukturelle Diskriminierung vorzubeugen. Dabei müssen uns immer wieder die Frage stellen, ob wir das, was technologisch möglich ist, wirklich wollen, und welche Interessen dabei in erster Linie vertreten werden.

    In der Vermittlung von Wissen nehmen auch weitere digitale Infrastrukturen eine besondere Rolle ein. Gemein sind digitale Applikationen wie Apps, die elektronische Patient*innenakte oder Online-Kurse sowie Angebote im App-Bereich, die schwangere Personen in dieser Zeit begleiten, sind hier endlos. Wer einmal durch den App-Store nach Schwangerschaftsapps gescrollt hat, wird überwältigt und ratlos zurückgelassen, ganz ähnlich wie bei Zyklus-Trackings-Apps. Zudem ist es unersichtlich, was mit den ganzen Daten passiert, die all diese Apps sammeln. Die Suche nach einer Open-Source Alternative, die nur lokal die Daten auf dem Smartphone speichert, scheint vergeblich. Auch ein Blick in die einzelnen Apps zeichnet ein Bild einer Unzahl an wenig verwertbaren Informationen – “Dein Baby ist nun so groß wie eine Avocado”, “jetzt ist es an der Zeit mit deinem Partner über eine größere Wohnung oder vielleicht ein Haus nachzudenken”, “Tipps für den Papa: nimm deiner Frau Aufgaben im Haushalt ab” – und ist darüber hinaus an cis-heteronormativen Familienmodellen orientiert. Die Frage nach einer App, die sich an feministischen Standards messen lassen kann, taucht also unwillkürlich auf.  Eine App, die die Selbstbestimmung in der Schwangerschaft in den Mittelpunkt rücken möchte, ist uma. Die App wurde von Hebammen gemeinsam mit Wissenschaftler*innen und werdenden Eltern entwickelt. Die ursprüngliche Idee dazu kam von Mirjam Peters – in ihrem Beitrag erläutert Mirjam, warum eine Schwangerschaft ein prägender Zeitraum ist, und weshalb  gerade dann feministische Perspektiven eine so wichtige Rolle spielen und wie bzw. ob digitale Applikationen uns zu einer selbstbestimmten Schwangerschaft verhelfen können. Apps bieten dabei die Möglichkeit einer, wie Mirjam schreibt, “gute[n] gesundheitliche[n] Begleitung”. Sie bieten Ressourcen, um Schwangere gezielt anzusprechen: Sie sollen weder “verniedlicht, eingeschüchtert, von oben herab angesprochen” werden – dies verkleinere ihren Reaktionsraum und damit die Selbstbestimmung. Vielmehr gehe es darum, Apps als Möglichkeitsräume zu verstehen, die “eine Ansprache auf Augenhöhe” leben – und zwar indem unterschiedliche medizinische Optionen präsentiert, diskutiert und für schwangere Personen nachvollziehbar aufbebreitet werden. Die Komprimierung wissenschaftlichen Wissens in einer digitalen Applikation soll so zum Hebel einer selbstbestimmten Schwangerschaft werden.

    Wenn es um körperliche Selbstbestimmung und reproduktive Rechte im Kontext des Digitalen geht, darf auch ein Blick in die Praxis nicht fehlen. So nehmen uns die beiden Hebammen Luisa Strunk und Francesca Orru mit in ihren Arbeitsalltag. Luisa Strunk geht in ihrem Beitrag auf den Einzug digitaler Anwendungen in ihrem Arbeitsalltag ein und wie sich dieser durch die Einführung der digitalen Patient*innenakte und der Möglichkeit von Online-Kursen sowie -Beratungen zunehmend verändert. Damit dies im Sinne der Praktiker*innen geschieht, fordert sie, dass “Hebammen in Zukunft beim Ausbau der Telematikinfrastruktur besser mitgedacht werden” müssen. Nur so können Prozesse der Digitalisierung nachhaltige, d.h. reproduktive Rechte fördernde Wirkung entfalten. Auch für Hebammen spielen die sozialen Medien zunehmend eine zentrale Rolle, wie Francesca Orru in ihrem Beitrag schildert. Sie können Mittel zum Zweck des Streikens und der dazu notwendigen Vernetzung sein, sowie auch als Medium für sexuelle Aufklärung rund um die Themen Geburt und Geschlecht dienen. Das veranschaulicht etwa der Instagram-Account und der zugehörige Blog von HalloHebamme. Doch mangelnde Transparenz und Zensur in sozialen Medien sind auch hier an der Tagesordnung – etwa indem die ökonomische Logik auf Reichweite setzt, welche allzu oft mit tradierten patriarchalen Strukturen verbunden ist und dabei der Selbstbestimmung von Gebärenden sowie ihren wichtigsten Helfer*innen, den Hebammen, allzu oft einen Strich durch die Rechnung machen.

    In ihrem Audio-Beitrag wirft Mandy Mangler, Chefärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, für uns einen Blick auf den Zusammenhang von gynäkologischer Arbeit und Digitalisierung im Krankenhaus und lotet aus, wie die Digitalisierung im Krankenhaus eine Chance für die fürsorgliche Beziehung zwischen Patient*innen und Pflegepersonal darstellen kann. Katharina Mosene blick in ihrem Audiobeitrag ebenfalls in den Bereich Medizin und lotet Schwierigkeiten im Umgang mit der Digitalisierung aus – sei es im Bereich Datenschutz oder dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz. 

    Fürsorge als Kern des allseits verwendeten Begriffs der Care-Arbeit meint das Für-andere-sorgen, sich kümmern, Verantwortung übernehmen. Dabei geht es natürlich um mehr als die Umsorgung von Kindern und schließt auch die Betreuung und Pflege von Angehörigen hohen Alters oder Menschen mit Behinderung ein. Auf diesen Zusammenhang geht Katharina Klappheck in einem Audiobeitrag für das Dossier genauer ein. Katharina macht deutlich, dass Menschen mit Behinderung nicht nur als Sorge-Empfänger*innen betrachtet werden dürfen, sondern selbst auch Sorgetätigkeiten leisten – und das auch im digitalen Raum. Im Wiederabdruck des Beitrags von Constanze Erhard mit dem Titel “Harmony’ Future I No Future w/o Harmony” werfen wir einen Blick auf das Thema Sexrobotik. Paula Ziethmann behandelt in ihrem Beitrag das Thema der Freund*innenschaft zwischen Mensch und Maschine und geht der Frage nach, ob Chatbots gegen menschliche Einsamkeit helfen können und somit eine wichtige Sorgetätigkeit leisten können. 

    Das Dossier beabsichtigt an dieser Stelle nicht, einen umfassenden Blick auf den Zusammenhang zwischen Care-Arbeit, reproduktiver Gerechtigkeit und Digitalisierung zu geben – vielmehr stellt es einen Startpunkt für eine in der Zukunft noch intensiver zu leistende Auseinandersetzung dar. Deutlich wird jedoch, dass auch im Digitalen weiterhin ein geschlechtsspezifisches Bild von Care-Arbeit vorherrscht, welches vor allem Frauen und weiblich gelesene Menschen in die Pflicht nimmt. Dass sich dieses Narrativ auch im digitalen Raum festigt, haben die Beobachtungen zu Elternschaft auf Instagram oder die mangelnde Transparenz sozialer Medien für feministische Themen wie die der Hebammenarbeit deutlich gemacht. Zwar haben sich die Möglichkeiten der Wissensvermittlung diversifiziert, ausschließlich emanzipatorisch sind diese jedoch keineswegs. Vielmehr prägen im Digitalen in hohem Maße ökonomische Verwertungslogiken die Handlungsmöglichkeiten. Damit kommt es zu einer spannungsgeladenen Gleichzeitigkeit: Während wir zunehmend beobachten, dass die Arbeit von Pflegeberufen und Care-Arbeit politisiert wird – wir denken hierbei vor allem an die Streiks von Pflegekräften etwa in den Berliner Krankenhäusern –, spielt sich im Digitalen eine monetäre Abwertung digitaler Sorgearbeit ab. Feministische Netzpolitik muss gerade zu solchen Entwicklungen Antworten suchen und in Zukunft finden. 

    Einige abschließende Worte zum Format des Dossiers. Das Dossier setzt sich aus längeren schriftlichen Beiträgen und kürzeren Audio-Beiträgen zusammen. Beide Formate nehmen dabei einen gleichwertigen Platz im Dossier ein und decken somit unterschiedliche Formate ab. Während die schriftlichen Beiträge meist mehr Raum haben, ein Thema grundlegender zu behandeln, sind die Audiobeiträge als Impulse gedacht und sollen sowohl knappe Einblicke, wie auch Denkanstöße leisten.


    1. Eine Einführung in das Thema der feministischen Netzpolitik: Francesca Schmidt, Netzpolitik. Eine feministische Einführung. (2020) Verlag Barbara Budrich.
    2. Eine Einführung in das Thema der reproduktiven Gerechtigkeit: Mehr als Selbstbestimmung! Kämpfe für reproduktive Gerechtigkeit (2021) herausgegeben von kitchen politics und mit Beiträgen von Loretta J. Ross, Susanne Schultz, Jin Haritaworn und Anthea Kyere. Erschienen bei edition assemblage.

  • Transparenz für Mehr Selbstbestimmung.

    Hürden Sozialer Medien für Hebammenstreik und Sexuelle Aufklärung

    Soziale Medien bestimmen mit ihren Bilderverboten den Diskurs um Schwangerschaft und Geburt maßgeblich mit. Sie helfen damit aber nicht denen die Gebären, sondern prägen das Bild verbotener weiblicher Sexualität. Sexuelle Aufklärungsarbeit ist dringend nötig, Online-Angebote könnten dabei helfen.

    von Francesca Orru

    Illustration: Lucie Langston

    Hebamme sein: die Begleitung auf dem Weg Eltern zu werden, eine vertrauensbasierte Eins-zu-eins-Betreuung, die Unterstützung einer selbstbestimmten  Geburt, bedarfsgerechte gesundheitliche Versorgung, Ressourcen-stärkend handeln, seelische und soziale Bedürfnisse berücksichtigen.

    Davon träume ich oft, wenn ich von einer Schicht aus dem Kreißsaal komme. Natürlich sieht nicht jede Schicht so aus, aber die Realität ist häufig brutal: überlastetes Personal, Unterbesetzung, nicht genügend Zeit für die Frauen*1, nicht genügend Zeit für  Praxisanleitungen von Auszubildenden und Studierenden, traumatische Geburten, Gewalt in der Geburtshilfe.

    Immer mehr Kreißsäle werden in Deutschland geschlossen, seit 1991 gab es einen Rückgang von rund 40%. Einer der Gründe dafür ist der Mangel an Hebammen, ein anderer ist der finanzielle Aspekt. Kreißsäle erbringen den Kliniken kaum Einnahmen und sind wenig rentabel. Seit der in 2004 in Kraft getretenen DRG-Einführung (Diagnosis-related-groups)2, der sogenannten Fallpauschale, verstärkt sich der Druck auf die Kliniken, wirtschaftlich zu handeln. Ökonomische Logik als Maß der Dinge. Für den geburtshilflichen Sektor ist dies gravierend, denn ein natürlicher Geburtsverlauf nimmt viel Zeit in Anspruch, verlangt aber wenig bis keine technischen Interventionen und ist somit für die Kliniken nicht profitabel. 

    Vernetzen und Streiken im digitalen Raum

    Der Hebammenstreik ist das Resultat einer jahrzehntelangen politischen Vernachlässigung bei der geburtshilflichen medizinischen Versorgung. Hebammen sind kaum Teil des Diskurses und viele wollen nicht länger unter den aufgezwungenen und überholten Krankenhausstandards, die gegen ihren Berufsethos gehen, arbeiten. Dies hat zur Folge, dass ein Großteil der Hebammen dem Klinikalltag den Rücken kehrt und einen neuen Weg in Richtung Selbstständigkeit geht oder sich beruflich umorientiert. 

    Der Hebammenstreik ist der Aufschrei nach Hilfe. Vor etwa einem Jahr, im September 2021, fingen die Hebammen zusammen mit den Pfleger*innen in Berlin an, zu streiken. Nach zwei Jahren akuter Pandemie-Zeit, in der allen klar wurde, wie wichtig ein personell gut aufgestelltes Gesundheitssystem ist, nach zwei Jahren extremer Überlastung, gingen sie auf die Straße. Durch Vernetzung und Organisation über digitale Plattformen und durch die Unterstützung von Verdi entstand ein landesweiter Streik mit der Forderung nach vor allem verbesserten  Arbeitsbedingungen, die eine angemessene Patient*innenversorgung ermöglichen. Eine Betreuung, die jede*r von uns früher oder später einmal in Anspruch nimmt, ein Streik der jede*n von uns etwas angeht. 

    Auch in NRW kam durch einen Zusammenschluss der sechs Universitätskliniken ein Streik des Pflegepersonals zusammen mit den Hebammen zustande. Verfolgen konnte man alles online, Verdi verhandelte. Nach 79 Tagen kam der Streik zu einem Ende, mit dem Ergebnis: Tarifeinigung an Unikliniken – Entlastung für Pflegepersonal – genaue Ergebnisse können hier nachgelesen werden.  

    Potentiale und Hürden sexueller Aufklärung via Social Media

    Die Streiks wurden zwar hauptsächlich über digitale Medien wie Social Media organisiert, doch das Thema der Geburtshilfe sowie der Beruf der Hebamme brauchen noch wesentlich mehr Online-Präsenz, um nachhaltig etwas verändern zu können. Es fehlt an sexueller Aufklärungsarbeit. Viele Frauen*, die in die Klinik kommen haben sich nur wenig bis gar nicht mit der Anatomie des weiblichen Körpers, geschweige denn mit der Physiologie der Geburt, auseinandergesetzt. Ich beziehe mich hier nicht auf anatomisches oder physiologisches Fachwissen, doch ich finde es auf vielen Ebenen, als Frau, als Tochter und als Hebamme, besorgniserregend, wenn Frauen* keine Begriffe für Ihre Genitalien kennen, oder sie bei einer Geburt erschrocken sind, dass Sie Wehen bekommen bzw. nicht wissen, was Wehen sind. Aufklärung ist wichtig, damit sich Gebärende sicher unter der Geburt fühlen können, den ungefähren Ablauf, der auf sie zukommt, sowie ihre Rechte kennen. Aufklärungsarbeit ist der Grundbaustein für eine selbstbestimmte Geburt. 

    Im Netz gibt es jedoch einige Hürden, wenn man sich mit den Themen feministischer, sexueller oder körperlicher Aufklärungsarbeit auseinandersetzt. So fehlt es z.B an der Übermittlung einer Diversität von Geschlechtern, Körpern und Partner*innen. Darüber hinaus erfahren Menschen sowohl im Netz als auch im Krankenhausalltag viel zu häufig Diskrimminierung. Postet man in Sozialen Netzwerken, muss man Gewisse Dinge beachten, so ist z.B der Grundgedanke von Facebook folgender :  

    „Facebook schränkt die Darstellung von Nacktheit oder sexuellen Handlungen ein, da manche Mitglieder unserer Gemeinschaft diese Art von Inhalten als anstößig empfinden. Außerdem entfernen wir grundsätzlich Bilder mit sexuellen Inhalten, um das Teilen nicht-einvernehmlicher Inhalte sowie von unzulässigen Inhalten in Zusammenhang mit Minderjährigen zu verhindern. Einschränkungen bezüglich der Darstellung von sexuellen Handlungen gelten auch für digital erstellte Inhalte, es sei denn, sie wurden zu Bildungszwecken gepostet, oder es handelt sich um humorvolle oder satirische Darstellungen“

    Zensur feministischer Inhalte hat Struktur

    Illustration: Lucie Langston

    Eine Ausnahme macht Instagram beim Thema Nacktheit in Verbindung mit Aufklärungs- und Bildungsarbeit. Nach welchen Kriterien hier sortiert wird, was Aufklärungs-Inhalte und was tatsächlich sexualisierte Darstellungen sind, ist jedoch nicht transparent. So wurde z.B der Account The Female Company in 2021 für mehrere Tage blockiert. The Female Company postet viel zum Thema sexuelle Aufklärung, über den weiblichen Zyklus und Körper im Allgemeinen, und versucht dabei, offen gesellschaftlich tabuisierte Themen anzusprechen und diesen einen Raum zu geben. Einen offiziellen Grund für die Blockierung des Accounts gab es bis heute nicht. Es fällt immer wieder auf, dass hauptsächlich Accounts, die weibliche Nacktheit zeigen, zensiert oder sogar blockiert werden. Dies zeigt, dass der weibliche Körper immer noch sexualisiert wird und somit häufig als Tabu gilt.

    Auch Accounts, die sich auf die Aufklärung von Geburten fokussieren, wie z.B der von Flor Cruz (badassmotherbirther) oder Empowered Birth Project, haben immer wieder Probleme mit gesperrten Inhalten. Dabei geht es in diesen Accounts lediglich darum, transparent über den Ablauf der natürlichen Geburt zu posten, um Frauen* zu empowern und ihnen neues Vertrauen in ihre Körper zu schenken. Viele Personen haben hier beispielsweise kommentiert, dass sie keine Ahnung hatten, wie eine vaginale Geburt tatsächlich aussieht und dass diese Art von Fotos und Videos sie bei ihren Geburtsvorbereitungen inspiriert haben. Während der vorherrschende Diskurs die Geburt als furchterregend, technologisch, klinisch, entfremdend konstruiert und den gebärenden Körper als Risiko und immer am Rande einer Fehlfunktion darstellt, zeigen die Posts und Bildunterschriften der genannten Accounts gebärende Körper als fähig und machtvoll.

    Feministische Studien und Kampagnen, wie z.B die von Carolina Are aus dem Jahr 2020 „How Instagram’s algorithm is censoring women and vulnerable users but helping online abusers“, enthüllen geschlechtsspezifische Zensur auf Facebook und Instagram. Sie legen einige der grundlegenden Mängel kommerzieller Sozialer Medien offen, die selten neutral, gerecht oder diskriminierungsfrei sind, insbesondere wenn sie der Selbstregulierung überlassen werden. Durch die Generierung von Gewinnen motiviert werden Plattformen dazu angeregt, Benutzer*innen basierend auf ihrem wahrgenommenen sozialen oder wirtschaftlichen Wert für die Website unterschiedlich zu behandeln. Diese Art der Aufteilung und ungleicher Behandlung macht historisch ausgegrenzte Gruppen anfällig für die voreingenommene Politik und die Verwaltungsstrategien von Social-Media-Seiten. Obwohl Plattformen Gleichbehandlung versprechen, gibt es eine grundlegende Diskrepanz zwischen der Art und Weise, wie Richtlinien geschrieben werden, und wie sie umgesetzt (und erlebt) werden. Die Gruppe der Hebammen sowie der gebärenden Personen hat verhältnismäßig wenig Online-Präsenz. Beispielsweise war die Sichtbarkeit des Hebammenstreiks nur gering und auch die Aufklärungsarbeit zum Thema Geburt hat keine große Reichweite. Die Online-Plattformen machen es schwierig und mühselig, Accounts am Laufen zu halten. Es bedeutet viel Arbeit und nimmt viel Zeit in Anspruch, sich immer wieder mit gelöschten Posts oder Story-Beiträgen auseinanderzusetzen. 


    Fußnoten

    1. Ich habe „Frau“ mit einem Sternchen markiert, da sich nicht jeder Mensch, der gebärt, als weiblich entsprechend der biologischen und sozialen Definition definiert, sollen diese Personen hier nicht ausgeschlossen werden.
    2. DRG: „Seit 2004 rechnen die Krankenhäuser nicht mehr nach Tagessätzen ab, sondern auf der Basis diagnosebezogener Fallpauschalen (DRG = Diagnosis Related Groups). Im Vergleich zum alten System der Tagessätze werden unter DRG-Bedingungen stärkere Anreize für ein wirtschaftliches Verhalten gesetzt.(…) Mit der DRG-Einführung sollten Fehlanreize im System beseitigt, die Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung in den Kliniken erhöht und die Kosten gesenkt werden.“

    Literatur: 

    https://www.aerzteblatt.de/archiv/53507/Auswirkungen-der-DRG-Einfuehrung-Die-oekonomische-Logik-wird-zum-Mass-der-Dinge

    https://www.hebammenverband.de/fileadmin/download/PDF/DHV_Ethik_fuer_Hebammen2022.pdf

    https://www.hebammenverband.de/verband/berufspolitik/buendnis-gute-geburt/

    https://www.hebammenverband.de/index.php?eID=tx_securedownloads&p=5479&u=0&g=0&t=1672321745&hash=69b8f327c6fd62755f66ba29888d7f4405b95483&file=/fileadmin/user_upload/pdf/Bildungspolitik/2022-09-22_Brandbrief_Geburtshilfe_BTKoalition.pdf

    https://www.hebammen-nrw.de/cms/metabereich/presse/einzelansicht/datum/2022/09/30/weltstillwoche-2022-stillen-eine-handvoll-wissen-reicht/

    https://www.streuverluste.de/beratung-werbung-beeinflusst-selbstbild-und-verhalten/

    https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/14680777.2020.1783805

    https://ijoc.org/index.php/ijoc/article/view/9608

    https://www.unsere-hebammen.de/hintergruende/fragen-und-antworten/warum-so-viele-kreisssaalschliessungen/

    https://www.boell.de/sites/default/files/assets/boell.de/images/download_de/2013-06-GANZ-Feministische-Netzpolitik.pdf

  • Francesca Orru

    Francesca Orru studiert Hebammenwissenschaften an der Universität Bonn und ist berufspolitisch und feministisch engagiert. Sie ist Fürsprecherin der 1:1 Betreuung durch eine Hebamme und glaubt an das Recht jeder gebärenden Person auf eine positive, selbstbestimmte Geburtserfahrung.


    Beitrag

    Transparenz für Mehr Selbstbestimmung.

  • Luisa Strunk

    Luisa Strunk ist Hebamme und lebt und arbeitet in Berlin. Sie engagiert sich berufspolitisch bei den Jungen & Werdenden Hebammen (JuWeHen) im Deutschen Hebammenverband. Im Rahmen der Berliner Krankenhausbewegung setzt sie sich für eine gute Versorgung der Geburtshilfe und bessere Bedingungen für Hebammen ein.


    Beitrag

    Digitalisierung der Hebammenarbeit

  • Mirjam Peters

    Foto: © OliverTjaden

    Mirjam Peters ist Hebamme und promoviert im Bereich Public Health zu den Zielen und der Qualität der Hebammenversorgung aus der Perspektive der Nutzerinnen. Sie ist Co-Gründerin der uma-App, einer App für mehr Gesundheit und Selbstbestimmung rund um die Geburt. 

    Beitrag

    Digitale Schwangerschaftsbegleitung für mehr Selbstbestimmung, Empathie und Wissenschaft