Kategorie: Publikation

  • Digitalisierung der Hebammenarbeit

    Die Digitalisierung könnte die Geburtshilfe erleichtern, doch es mangelt an einem politisch einheitlichem Konzept und der Erkenntnis, dass es nicht reicht, Technologie ohne jene zu gestalten, die später damit arbeiten werden.

    von Luisa Strunk

    Die fortschreitende Digitalisierung im Gesundheitswesen, umschließt neben vielen anderen Bereichen auch den geburtshilflichen Sektor. Neben Ärzt*innen, Gesundheits- und Krankenpfleger*innen und anderen Berufsgruppen, müssen sich auch Hebammen zunehmend den veränderten Anforderungen an ihre Arbeit stellen. Das im Jahr 2015 verabschiedete E-Health-Gesetz1 stellte die Weichen für den Aufbau einer digitalen Infrastruktur im Gesundheitswesen und bildet seitdem den Rahmen für folgende Gesetzgebungen von denen auch der Hebammenalltag maßgeblich beeinflusst wird. Galt die Hebammenarbeit einst als traditionelles Handwerk, beinhaltet die Berufsbeschreibung mittlerweile weit mehr als die Reproduktion routinemäßiger Handgriffe und erfordert eine kontinuierliche Fortbildung der Digital- und Datenschutzkompetenz. 

    Digitalisierungsschub im Hebammenalltag

    Die meisten Hebammen nutzen bereits digitale Dienste für ihre Arbeit. Vor 2020 vor allem für bürokratische Belange wie Abrechnung, Dokumentation und Qualitätssicherung. Auch Kommunikation mit den betreuten Familien findet zunehmend unkompliziert über soziale Messengerdienste statt. Schnell abends ein Foto vom Ausschlag des Neugeborenen per WhatsApp an die Hebamme geschickt, eine kurze Sprachnachricht hinterher und im besten Fall kann direkt geholfen werden. Doch auch wenn der Gebrauch von privat meist sowieso genutzten Messengern eine barrierearme Ergänzung zur regulären Betreuung von Familien  ist, so ist sie datenschutzrechtlich höchst bedenklich. Messengerdienste, welche keine Metadaten speichern, sind hier die bessere Alternative, allerdings bisher kaum verbreitet.

    Durch die Corona-Pandemie und die plötzliche Notwendigkeit, Alternativen zur aufsuchenden Betreuung von Familien zu schaffen, erhielt der Digitalisierungsprozess einen kräftigen Aufschwung. Es sind kurzfristig gut zugängliche und niedrigschwellige Angebote entstanden, die Schwangeren und Eltern die Möglichkeit bieten, an ihre individuellen Bedürfnisse angepasste Gesundheitsleistungen wahrzunehmen. Für Hebammen kann dies Entlastung und Möglichkeiten der Spezialisierung schaffen, weil sie Beratungen örtlich ungebunden durchführen und mehr Nutzer*innen mit ihren Angeboten ansprechen können. Ein Geburtsvorbereitungskurs für Zwillingseltern beispielsweise, der in einer Kleinstadt aufgrund zu geringer Nachfrage nicht durchgeführt werden könnte, stößt als Online-Kurs auf reges Interesse. 

    Eletronische Patient*innenakte (ePA)

    Mittlerweile gehören digitale Beratungen und Online-Kurse zum Repertoire etlicher Hebammen und die Digitalisierung wird durch den Ausbau einer Telematikinfrastruktur (TI) zunehmend gefördert. Seit Januar 2022 ist der digitale Mutterpass Teil der elektronischen Patientenakte (ePA) und kann von Schwangeren als Alternative zum gedruckten Mutterpass gewählt werden. Die Dokumentation der erhobenen medizinischen Daten erfolgt gebündelt und ist innerhalb der TI digital abrufbar. So sind relevante medizinische Befunde – zumindest in der Theorie – für alle an der Betreuung schwangerer Personen beteiligten Gesundheitsprofessionen einsehbar, die Zugriffserlaubnis erfolgt durch den*die Inhaber*in des Mutterpasses. Hierdurch kann eine individuelle Versorgung auf Basis fachübergreifender Informationen ermöglicht und die interdisziplinäre Zusammenarbeit erleichtert werden. 

    Neben der Professionalisierung und Strukturierung der Arbeit mit Klient*innen, soll die ePA Hebammen auch eine einfache und schnelle Abrechnung mit den Krankenkassen ermöglichen. Im Vergleich zum derzeitigen Prozedere, bei dem für jede erbrachte Leistung eine Unterschrift eingeholt und postalisch an die Krankenkasse geschickt werden muss, stellt dies eine riesige Entlastung dar.

    Simple Digitalisierung?

    So simpel und sinnvoll der digitale Mutterpass klingt, so groß sind die Hürden bei dessen Einführung. Aktuell haben viele Ärzt*innen und vor allem Hebammen keine Möglichkeit, auf die ePA und damit den digitalen Mutterpass zuzugreifen, da sie nur unzureichend an die TI angebunden sind. Ein mobiles System zur Dokumentation wird voraussichtlich erst 2023 verfügbar sein – eine Dokumentation bei Hausbesuchen ist also bisher nicht möglich. Auch in Notfällen oder im Ausland zeigen sich Schwachstellen der papierlosen Dokumentation, da hier ein schneller Zugriff umständlich ist oder aufgrund nicht kompatibler Software schlicht nicht funktioniert. Damit sich der digitale Mutterpass positiv auf die Versorgung von Schwangeren auswirkt, muss an diesen Stellen dringend nachgebessert und Hebammen und anderes medizinisches Personal aktiv in die TI integriert werden.

    Die Digitalisierung des Gesundheitswesens schreitet voran und hat das Potenzial, eine bedarfsorientierte, individuelle und interdisziplinäre Versorgung von Schwangeren und Eltern zu unterstützen. Bevor digitale Leistungen jedoch erfolgreich und sicher angeboten werden können, müssen Hebammen sich in Digital- und Datenschutzkompetenz fortbilden, technische Ausstattung anschaffen und Anträge für Kostenübernahmen stellen. In der aktuellen Situation akuten Hebammenmangels ist dies äußerst kritisch, denn hierfür investierte Zeit und Energie fehlt schlussendlich bei den Klient*innen und ihren Familien. 

    Hebammensensible digitale Infrastruktur

    Im Rauschen des Fortschritts darf die Digitalisierungspolitik nicht die besonderen Herausforderungen vergessen, mit denen Angehörige der Gesundheitsberufe umgehen müssen und sollte ein besonderes Augenmerk auf deren begrenzte Ressourcen haben. Um weiterhin Teil an der Versorgung von Schwangeren und Eltern zu haben, müssen Hebammen in Zukunft beim Ausbau der Telematikinfrastruktur besser mitgedacht werden. Indem Hebammenvertreter*innen in politische Entscheidungen miteinbezogen werden, könnte die Praktikabilität von Digitalisierungsmaßnahmen verbessert und Schwachstellen, wie bspw. die genannten Zugriffsschwierigkeiten auf den digitalen Mutterpass, vermieden werden. Beschlossene Maßnahmen und Unterstützungsangebote sollten dem Fachpersonal im Rahmen von Fortbildungen und Schulungen nähergebracht werden, um potenzielle Hemmungen beim Umgang mit digitalen Hilfsmitteln abzubauen. Auch eine vorschießende Kostenübernahme für technische Hilfsmittel und Software durch die GKV würde Hebammen finanziell entlasten und sich somit unterstützend auf den Digitalisierungsprozess auswirken. 

    Damit Digitalisierung im Gesundheitswesen kein idealistisches Konzept bleibt, ist es notwendig Expert*innen aus Gesundheitspolitik, Digitalpolitik und den Fachberufen am Entscheidungstisch zusammenzubringen. Nur so können gemeinsam Konzepte entwickelt werden, die eine nachhaltige Verbesserung der Patient*innenversorgung erwirken.


    Fußnoten

    1. BGBl. T I Nr. 54, 2015
  • Women on Web für ein Web for Women

    Für sichere Schwangerschaftsabbrüche spielt das Internet seit langer Zeit schon eine wichtige Rolle – nicht nur können hier umfassende Informationen gefunden und abgerufen werden –, sie ermöglichen auch den Zugang zu sicheren Abtreibungen. Dabei geht die einfache Gleichung aus Digitalisierung und sicherer Abtreibung nicht reibungslos auf, vielmehr mischen sich in diese nicht nur die bekannten Abtreibungsgegner*innen ein. Auch große Tech-Unternehmen erschweren durch ihre permanente Suchmaschinenoptimierung den Zugang zu sicheren Informationen rund um Abtreibungen.

    von Women on Web

    Illustrationen: Lucie Langston

    Als die Ärztin Rebecca Gomperts die NGO Women on Web vor 17 Jahren gründete, war das Internet noch ein anderer Ort. Es bot die perfekte Plattform, um die Welt der Abtreibungsversorgung auf den Kopf zu stellen. In ihrem Fall erfüllte es tatsächlich die Hoffnung auf einen freien Ort der Möglichkeiten, den damals so viele im Angesicht der sich rasch verändernden Technologie erwarteten. Mit ihrem anarchistischen Geist bahnte Rebecca neue Wege, sie umging geschickt die Regeln dutzender Länder – eine Art der Revolution. Denn Women on Web war 2005 der erste internationale Anbieter für telemedizinische Abtreibungen. Ungewollt schwangere Menschen, darunter viele aus Ländern mit restriktiven Abtreibungsgesetzen, konnten und können bis heute nach einer Hilfsanfrage auf der Internetseite Abtreibungsmedikamente nach Hause erhalten und die Abtreibung sicher in selbst gewählter Umgebung vornehmen. Begleitet werden sie dabei von Anfang bis Ende per E-Mail.       

    Abtreibung + Internet = Selbstbestimmung ?

    Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Suchmaschinenoptimierung war die erste Internetseite von Women on Web das pure Chaos, sie war eine Art unzusammenhängendes Notizbuch von Rebecca, bestehend aus einer eklektischen Mischung von Texten und Bildern. Aber es funktionierte. Women on Web machte damit selbstbestimmte medikamentöse Abtreibungen, die zu dieser Zeit noch viel mehr als heute polarisierten und von der allgemeinen Öffentlichkeit und auch unter medizinischem Personal kontrovers diskutiert wurden, kurzerhand für Menschen auf der ganzen Welt zugänglich. Rebecca gab die Informationen und die Pillen zurück in die Hände derer, die sie nutzten und stellte damit die bestehenden Machtverhältnisse und die Autorität der Ärzt*innenschaft in Frage, die die Informationen bisher bewusst oder unbewusst zurückhielten.          

    Heute haben sich die Bedingungen unserer Arbeit stark verändert. Zwar nutzen immer mehr, gerade auch junge Menschen Onlineangebote im medizinischen Bereich und auch die Pandemie hat den Bedarf an telemedizinischen Abtreibungen in die Höhe schießen lassen. Doch die Versorgungslage gestaltet sich mühsam. Die Variable mit dem größten Einfluss auf unsere Tätigkeit heute ist ein Algorithmus. Das Unternehmen Google beispielsweise führt regelmäßig sogenannte Core Updates aus, mit dem Ziel, Suchergebnisse zu präzisieren oder etwa Fehlinformationen zu Covid einzudämmen. Im Mai 2020, kurz nach Beginn der Pandemie, fand ein solches Update statt. Innerhalb von 48 Stunden brach die Zahl der Seitenbesucher*innen um 75% ein. Tausende Menschen, die mehr denn je auf unsere Hilfe angewiesen waren, konnten uns online nicht mehr finden. Bis heute haben sich die Zahlen nur wenig gebessert.

    GOOGLE Schriftzug , davon sind drei o's in Pillenform, durch die Buchstaben zieht sich ein Metallkleiderbügel in umgekehrt und unter dem Schriftzug spiegeln sich die Buchstaben G und gle.

    Abtreibungsgegner: Big Tech’s Algorithmen

    Deutlich wird, dass es nicht nur die klassischen Abtreibungsgegner*innen sind, die in der Politik, mit fundamentalistischen Auftritten vor Kliniken oder mit Webseiten, auf denen Fehlinformationen vertrieben werden, den Zugang zu Informationen und sicherer Abtreibungsversorgung von unzähligen Menschen auf der ganzen Welt massiv erschweren, sondern auch die vermeintlich progressiven Tech-Unternehmen. Begründet wird jegliche Veränderung durch die Unternehmen damit, dass die Suchergebnisse stetig verbessert würden. Doch im Bereich sexueller und reproduktiver Gesundheit scheitern sie damit kläglich. Ein gutes Beispiel ist eine polnische Scam-Website. Sie besteht zum Teil aus Wort für Wort von unserer Website kopierten Inhalten und wird zuverlässig als Top-Suchergebnis angezeigt. Verzweifelte ungewollt schwangere Menschen werden erst zu einer Zahlung in Bitcoin aufgefordert und später auf unsere Website weitergeleitet. Die von Google verwendeten Kriterien von Expertise und Vertrauenswürdigkeit greifen offensichtlich nicht. Das Suchergebnis ist nicht nur irrelevant, sondern behindert sogar den dringend notwendigen Zugang zu Abtreibungsmedikamenten sowohl zeitlich als auch finanziell.       

    Die (digitale) Zukunft telemedizinischer Schwangerschaftsabbrüche

    Nach der Pionierarbeit, die feministische Organisationen, Ärzt*innen und Forscher*innen jahrelang geleistet haben, empfiehlt selbst die Weltgesundheitsorganisation mit ihren aktuellen Richtlinien zu sogenannten “self-managed abortions”, also sicheren Abtreibungen ohne physischen Kontakt zu medizinischem Personal, die Arbeitsweise von Women on Web. Es ist der Algorithmus, der den aktuellen Entwicklungen von Telemedizin weit hinterher hinkt. Nicht nur Women on Web, sondern viele Organisationen, die zu sexueller und reproduktiver Gesundheit arbeiten, navigieren unter diesen erschwerten Bedingungen. Um dem geeint zu begegnen hat Women on Web gemeinsam mit Women First Digital weitere Organisationen und Akteur*innen versammelt. Gemeinsam wurden Lösungsansätze formuliert, die im Laufe des Jahres veröffentlicht werden. Denn es braucht dringend Transparenz zu Content Moderation und Google Algorithmus Updates im Gesundheitsbereich, Maßnahmen gegen Fehlinformationen zu Abtreibungen sowie bessere Kriterien zur Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit von Websites und Organisationen.    

    Auch nach 17 Jahren kämpft Women on Web weiter für den einfachen Zugang zu Abtreibungsmedikamenten, auch wenn sich dieser Kampf stetig verändert. Denn wir vertrauen den Frauen und schwangeren Menschen und wir vertrauen den Pillen.

  • Digitale Sorgearbeit und regenerative Arbeit. Ein Vergleich.

    Die Figur der digitalen Hausfrau findet sich vermehrt auf digitalen Plattformen wie Instagram oder Facebook. Ihr Tätigkeitsfeld umfasst vor allem das stetige Hochladen neuer Beiträge, denn sie ist auf Likes, Klicks und Interaktion mit ihren Follower*innen angewiesen.

    von Ute Kalender

    Etwa 14 verschieden große Kacheln, verbunden mit Linien, dazwischen kleine Kreise mit Icons oder Symbolen: unten links zwei Tampons, rechts daneben eine Tabelle mit grafischer Darstellung der Temperaturmessungen, darüber ein Fieberthermometer, darüber eine Pillenpackung. Im Zentrum ist ein Fötus bzw. Baby in fetaler Haltung vor blauem Hintergrund, das Bild überschneidet sich mit einer Eizelle, die von Samenzellen umgeben ist, vor rotem Hintergrund. Darüber ist eine Spritze sowie ein Bild mit Pillen zu sehen. Oben rechts ist ein Eileiter und den verschiedenen Stadien einer Eizelle im Uterus zu sehen. Daneben eine Menstruationstasse und eine Kupferspirale. Darunter ein Schwangerschaftstest. Weiter unten rechts ein Urinprobebecher mit dem Abstrich für pH-Werte. Unten rechts drei Pillen auf blauem Hintergrund, zwei Hände, die ein Glas Wasser und eine Pille zum Schlucken festhalten.
    Illustration: Lucie Langston

    War es vor ein paar Jahren die Kritikfigur der regenerativen Arbeit, die ausgehend von Melinda Coopers und Catherine Waldbys Arbeiten, durch das akademische und aktivistische Dorf getrieben wurde, scheint es heute die digitale Hausfrau zu sein. Ein Begriff der von der postmarxistischen Medienwissenschaftlerin Kylie Jarrett geprägt wurde (vgl. Cooper und Waldby 2010, Jarrett 2016). Beide Konzepte sprechen an, weil sie Unsichtbares sichtbar machen wollen und weil sie feministisch und solidarisch agieren. 

    Die digitale Hausfrau vs. regenerative Arbeit

    Zunächst nehmen beide Praktiken rund um scheinbar statische, natürliche Entitäten ins Visier: Die digitale Hausfrau befasst sich mit Tätigkeiten rund um digitale Plattform wie Instagram oder Facebook, die nicht ohne unsere Likes, Klicks und das unermüdliche Hochladen von Fotos existieren können. Das Konzept der regenerativen Arbeit nimmt Substanzen wie Eizellen, Spermien oder Embryonen ins Visier und unterstreicht, dass um zum Beispiel den Laborembryo als Hauptakteur einer künstlichen Befruchtung herzustellen, Arbeit notwendig ist: Sich gut zu ernähren, in die Klinik zu fahren, sich Hormonstimulationen unterziehen und mit Risiken wie dem Hyperstimulationssyndrom zu leben. 

    Auch geht es somit um Selbstsorge, die in beiden Arrangements aufs engste mit Sorge für Andere gekoppelt ist. Regenerative Selbstsorge ist Sorge für mich und meinen Körper und ist zugleich physiologische Sorge für den Embryo und rohstoffliche Sorge für die Reproduktionsindustrie. Ebenso ist das Posten, das Nicht-Posten oder das Löschen von Tipsi-Posts, also von Posts nach einem Mezcal Sour, digitale Selbstsorge für mich und kann doch auch immer Sorge für meine Freund_innen, Fremde oder Plattforminhaber_innen und die Werbeindustrie sein. 

    Beiden Konzepten ist die Politisierung und Skandalisierung von unsichtbarer und unentlohnter Arbeit gemein. Für eine Reihe künstlicher Befruchtungen kann schnell ähnlich viel Geld wie für einen Kleinwagen gezahlt werden. Die enormen Summen gehen aber nicht an die Person, die in den Vorgängen viel auf sich nehmen und leisten muss, um eine Eizelle zu produzieren, sondern an die Inhaber_innen der Reproduktionskliniken und die Reproduktionsmediziner_innen. Betrachten wir digitale Sorgearbeiten, so ist auch die unentlohnt. Viele Social Media Nutzende werden zwar gern in ihren Tätigkeiten belächelt, Etliches ihrer erwirtschafteten Gewinne geht aber nicht an sie sondern als Profite an die Plattformbesitzenden und Unternehmen. Mark Zuckerberg gehört bekanntlich zu den reichsten Menschen der Welt. Das Vermögen des Inhabers von Facebook und Instagram wurde 2022 auf rund 65 Milliarden Dollar geschätzt, während die Nutzenden für digitale Endgeräte zahlen und ihre Daten zur Verfügung stellen. 

    Die Erweiterung der feministischen Debatte um Sorge

    Auch schließen beide Konzepte an feministische Debatten um Sorgearbeit an – zu nennen wäre an dieser Stelle etwa Mariarosa Dalla Costa, Selma James, Leopoldina Fortunati oder Silvia Federici. Davon ausgehend adressieren Melinda Cooper und Catherine Waldby Reproduktionstechnologien als Teil von transnationalen Reproduktionsökonomien und erweitern so die Frauenarbeitsdebatte um die Frage nach Reproduktions- und Biotechnologien. Reproduktionsökonomien gehen demzufolge mittlerweile über Orte wie das Zuhause und über Tätigkeiten wie Putzen, Sexhaben oder Kinderaufziehen hinaus und finden auch in den Fertilisationskliniken und Laboren einer globalen Welt statt. Nicht reproduktive Wünsche, so die Autorinnen, sondern kapitalistische Akkumulationsbegehren sind wesentliche Gründe für das Entstehen dieser Ökonomien gewesen (z.B. Cooper 2008, 129 ff., Cooper/Waldby 2010). Betrachten wir wiederum die Figur der digitalen Hausfrau, will Kylie Jarrett damit ebenfalls den historischen Gender Aspekt sichtbar machen – die Ähnlichkeit von feminisierter digitaler Arbeit zu Hausarbeit. Jarrett bevorzugt daher die Bezeichnung Hausfrau gegenüber der geschlechtsneutralen „domestic worker“. Denn beide – Hausfrau und digitale Arbeiter_in – sind im Gegensatz zum Arbeiter unbezahlt (Jarrett 2016, 4).

    Dennoch ist fraglich, ob Hausarbeit, regenerative Arbeit und feminisierte digitale Arbeit alle mit einem ähnlichen Begriff feminisierter Arbeit erfasst werden können. Ist nicht Hausarbeit wie Putzen anstrengender als Freund_innen durch ein Like unter einem Foto ein angenehmes Gefühl zu bereiten? Und ist nicht das Hochladen eines schönen Fotos etwas komplett anderes als anstrengende Hormongaben zu untergehen, operative Eizellentnahme oder ein Kind für eine andere Frau auszutragen? Hier ist noch viel empirische Forschung und ein kritisches Durchdenken der Konzepte notwendig, um ihre Tragfähigkeit zu explorieren. 

    Dennoch führen alle Konzepte Diskussionen und Auffassungen vergeschlechtlichter Praktiken aus diskursiven Sackgassen, problematischen Problematisierungen und Unsichtbarkeiten heraus. Das Konzept der Hausarbeit macht deutlich, dass es nicht Liebe oder die vermeintliche Natur der Frau ist, die Frauen dazu bringt, sich unentlohnt um andere zu kümmern, sondern eine Geschlechterordnung, die solche Rollen nahelegt. Leihmutterschaft ist dann nichts moralisch Verwerfliches mehr, das wie Sexarbeit in Grauzonen gedrängt und tabuisiert wird, sondern wird als Möglichkeit von Personen mit Uterus genutzt, um sich und ihre Familien zu ernähren. Schließlich sind Influencende keine dummen, entfremdeten Hühner, wie maskulinistische Kritik suggeriert (z.B. Schmitt/Nymoen 2021). Praktiken rund um die großen Plattformen spiegeln keine Entsinnlichung wider und sind auch nichts rein Soziales wie der Begriff Soziale Medien nahelegt, sondern nur die Vorderseite einer riesigen globalen Reichtumsmaschine, an denen wir endlich alle teilhaben sollten. 


    Literatur

    Cooper, Melinda (2008) Life as Surplus. Biotechnology & Capitalism in the Neoliberal Era. Seattle/London.

    Cooper, Melinda/Waldby Catherine (2010) From Reproductive Work to Regenerative Labour: The Female Body and the Stem Cell Industries. In: Feminist Theory 11(3), 3-22. 

    Jarrett, Kylie (2016) Feminism, Labor and Digital Media: The Digital Housewife. New York: Routledge. 

    Nymoen, Ole/Schmitt Wolfgang M. (2021) Influencer. Die Ideologie der Werbekörper. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

  • Instamoms – Feminismus oder Retraditionalisierung?

    Mutterschaft auf Instagram ist schön, perfekt und vermittelt ein Bild zum Wohlfühlen. Das ist jedoch alles andere als divers und modern. Stattdessen werden hier alte Traditionen nicht nur wiederbelebt, sondern auch mit einer besonderen Brisanz als das Mutterideal verkauft.

    von Friederike Jage-D’Aprile

    EIn Smartphone-Bildschirm in der Mitte des Bildes. Drei Hände zeigen mit dem Zeigefinger auf das Bild auf dem Bildschirm. Darauf zu sehen ist eine liegende Frau/weiblich gelesene person mit langen roten, lockigen Haaren. Sie trägt ein weißes Tshirt und eine hellblau-weiß gemusterter Hose. Sie liegt auf der Seite und hält mit einer Hand ihr Knie angewinkelt fest, auf dem angewinkelten andern Arm ist ihr Kopf abgelegt. Auf Höhe ihrer Brust liegt ein Baby mit hellblauem Strampler, das von der Brust trinkt.
    Illustration: Lucie Langston

    Unter dem Hashtag #instamom versammeln sich auf der Social-Media-Plattform Instagram über 6.000.000 Beiträge. Darunter sind gegenwärtig vermehrt Bilder von Personen zu finden, die sich kritisch mit ihrer Mutterschaft auseinandersetzen und zeigen wollen, wie die Realität als (werdende) Eltern aussieht. Sie beschreiben Schmerzen beim Stillen, tragen Wochenbetteinlagen in Netzunterhosen oder posten ein weinendes Selfie, weil einfach alles zu viel ist. Sie wollen zeigen, dass in der Mutterschaft nicht alles puderweiß und voller Mutterglück ist. Als ein möglicher Ausgangspunkt dieser vermehrt kritischen Reflexion sei hier an Orna Donaths 2016 erschienene Studie über bereuende Mütter zu denken, die in Deutschland medial unter dem Hashtag #regrettingmotherhood eine breite Resonanz erfahren hat (Vgl. Donath 2016). Dennoch machen einen überwiegenden Großteil der Bilder von Mutterschaft auf Instagram doch immer noch genau die puderweißen und wohligen Bilder von Mutterschaft aus, die Mutterschaft als durchgängig positiv zeigen. Es sind die ‚Instamoms‘ mit einer oftmals hohen Reichweite (über 100.000 Follower*innen), die auf der Plattform mit ihrem wiederum traditionell inszenierten Mutterschaftsalltag werben und dabei eine stetig wachsende Follower*innenschaft verzeichnen. Sie stellen Mutterschaft vor allem als ‚naturgegeben‘ und ‚traditionell‘ dar, wie eine Studie von Helen Knauf und Susanne Mierau herausfand (Vgl. Knauf & Mierau 2021). In diesem Beitrag werden unter dem Begriff der ‚Instamoms‘ hauptsächlich cis-Frauen gefasst, die Inhalte über ihre Mutterschaft auf Instagram teilen. Mutterschaft wird in diesem Bezug als soziale Praktik verstanden, die heteronormativer Sinnbeschreibungen unterliegt. Da Mutterschaft jedoch nicht nur die biologische Mutterschaft betrifft – das heißt, dass nicht nur cis-Frauen gebären können – bedarf es in zukünftigen wissenschaftlichen Überlegungen dringend einer neuen elternschaftlichen Definition von Mutterschaft.

    Die wissenschaftliche Erforschung von Mutterschaft auf Instagram

    Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Trend der Visualisierung von Mutterschaft birgt das Potential gesellschaftliche Zusammenhänge und Tendenzen zu erkennen. Es stellt sich konkret die Frage: Wie findet Mutterschaft in den sozialen Medien statt und welche gesellschaftlichen Schlüsse lassen sich daraus ziehen? In der deutschen Forschung noch eher randständig behandelt, zeigen internationale Studien, welche Bedeutung Instagram für die Repräsentation von Mutterschaft hat. 

    Mutterschaft ist demnach in Kommunikationsprozesse sozialer Medien eingebunden, Informationen über das Muttersein werden vielfach geteilt und kommuniziert. Viele Mütter in ihren zwanziger bis dreißiger Jahren nutzen regelmäßig Instagram – sie sind Early Adopter dieser Anwendung, da sie mit dem Internet aufgewachsen sind und von Beginn an ihrer Mediennutzung mit sozialen Medien vertraut wurden (Vgl. Autenrieth 2014, S. 99). Das Aufrechterhalten bestehender Kontakte sowie die Suche nach Gleichgesinnten in Zeiten persönlicher und emotionaler Veränderung spielen in der Nutzung sozialer Medien eine Rolle. Die mentalen, emotionalen und physischen Veränderungen, welche mit der Schwangerschaft und der Geburt eines Kindes einhergehen, können oftmals aufgrund der wachsenden Mobilität und erhöhten Individualisierung nicht mehr im Familienverband ausgehandelt werden. Eine vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) veröffentlichte Studie zum mentalen Wohlbefinden von Müttern zeigt, dass der Eintritt in die Mutterschaft häufig mit einem verringerten Wohlbefinden der Frauen einhergeht (Vgl. Giesselmann 2018). Mütter suchen infolgedessen vermehrt im Netz Rat und Kontakt und verlagern ihre Kommunikation zu einem bestimmten Themenbereich in die sozialen Medien. Sie versuchen bestehende Kontakte zu stärken, familiäre Beziehungen auf dem neusten Stand zu halten und die Distanz, welche sich aus der räumlichen und sozialen Isolation ergibt, zu überwinden. Gerade in der Zeit des Wochenbetts und der Elternzeit ist die Mutter häufig aus ihren gesellschaftlichen Gefügen herausgenommen. Die Mutterschaftsinhalte sozialer Medien fungieren dort als Vergleichsstandard, wo die eigene Mutterrolle vermehrt differenziert wahrgenommen wird. Mutterschaft ist demnach kein gegebener Zustand, sondern unterliegt einer stetigen Aushandlung von Bedeutung und Rollenzuschreibungen. In Zeiten der Veränderung und des sich in der neuen Rolle Zurechtfindens können gerade in den sozialen Medien Ansätze gefunden werden, die die Mütter in ihrer Rolle bestärken oder ihnen Alternativen zu bestehenden sozialen Zuschreibungen anbieten. Dies kann einen emanzipatorischen Effekt haben. Die vielfältigen und diversen thematischen Aushandlungen von Mutterschaft auf Plattformen wie Instagram nämlich sind ein Zeichen für die unterschiedlich ausgeprägten Formen des Mutterseins. Mutterschaft auf Instagram lässt die Mutterschaft zu etwas Öffentlichem werden, was vor der Digitalisierung weitestgehend privat oder an anderen kommunikativen Orten wie beispielsweise Elterngruppen oder im Familienverband ausgehandelt wurde. 

    Ein Smartphone in der Mitte, über den Rand ragen viele rote Herzen nach rechts oben, links oben sind die Icons von Like, Comment und Follower:innen in rot abgebildet als Sprechblase. Das Bild im Bildschirm ist wie vom Kartenspiel der Herzdame: nach oben eine weiße blonde Frau, die ein Schwarzes Baby mit rosa Schleife him Haar auf dem Arm hält und entzürnt guckt. Gespiegelt unten im Bild eine POC Frau mit braunen langen Haaren mit schreiendem weißen Baby auf dem Arm, die Frau sieht erschöpft aus.

    Mutterschaft auf Instagram als trending topic

    Das Phänomen der wachsenden Popularität von Mutterschaftsthemen auf Instagram und das Interesse, sich als Mutter zu zeigen und spezifisches Wissen zu teilen, zeigt die Prägnanz, die gegenwärtige gesellschaftliche Zuschreibung von Mutterschaft zu hinterfragen. Die sozialen Medien, vor allem Instagram, werden hier zum Aushandlungsort subjektiver Erfahrungen, der vermag eine Grundlage für neue Rollenzuschreibungen zu bilden. Dabei ist ein Strukturwandel der Öffentlichkeit zu erkennen, der das Öffentliche und Private nicht mehr strikt voneinander trennen lässt. Private Probleme der Mutter müssen als strukturelle begriffen werden, damit sie politisch relevant werden. Mütter, die Themen ihrer erlebten Mutterschaft auf Instagram zeigen, bieten ihre subjektive Perspektive von Mutterschaft an und ermöglichen einen Abgleich dieser. Die Individualisierung von Lebenswelten könnte dann auf Instagram zu einem Ausdruck von Entindividualisierung werden, da Communities inhaltliche Gruppierungen darstellen und so gesellschaftspolitisch emanzipatorisch wirken können. Dabei sieht jeder Nutzer*innen-Feed anders aus – je nachdem wem gefolgt wird. Neben dem als emanzipatorisch wirkenden Effekt des Austauschs tritt jedoch die Gefahr, sich mit dem veröffentlichten Material einer breiten Masse angreifbar zu machen. Zu denken sei dabei an Begriffe wie das ‚mom-shaming‘, welches den Umstand des gegenseitigen Kritisierens bestimmter Mutterschaftspraktiken beschreibt. So gibt es Themen wie beispielsweise der gewählte Zeitraum des Stillens, die Art und Weise der Beikosteinführung oder der präferierte Geburtsmodus, die besonders stark durch die Rezipient*innen und Produzent*innen dieser Inhalte diskutiert und sogar ‚verurteilt‘ werden. Dieser Umstand deutet daraufhin, dass hier die traditionelle Vorstellung der sich aufopfernden Mutter, die dem Patriarchat dient, als Urteilsquelle herauszustellen ist. Zu beobachten ist hinsichtlich der traditionellen Vorstellung von Mutterschaft auch, dass beispielsweise Hashtags wie #momhack, unter denen eine Vielzahl an (Video-)Reels und Bildern zu Haushalts- oder Erziehungstipps veröffentlicht sind, binäre Geschlechtszuschreibungen reproduzieren und so zu einer Stereotypisierung der Mutter als Hausfrau und Hauptverantwortlichen der emotionalen und Care-Arbeit beitragen. Hier ist eine tiefere wissenschaftliche Betrachtung wegweisend. 

    Mutterschaft als Werbemarkt

    Zudem ist es gerade der öffentliche Austausch unter Müttern, der zunehmend von ökonomischen Interessen geleitet wird (Vgl. Wegener et al. 2022). Der tiefe Einblick in vormals privat ausgehandelte Themen schafft Vertrauen und Glaubwürdigkeit und wird so besonders relevant für den Werbemarkt. Diese Vermarktungsmechanismen wirken auf das zuvor beschriebene emanzipatorische Potential der Plattform wiederum normierend. Instamoms werden zwar durch die Vermarktung ihrer Mutterschaftsinhalte zu ihren eigenen Chef*innen, können zu ihren eigenen Konditionen am Arbeitsmarkt teilnehmen und vermögen sich damit aus alten Mutterschaftsrollenverständnissen zu lösen, sind in der Darstellung ihrer Inhalte jedoch trotzdem an traditionelle Normen des Marktes gebunden und spiegeln dort patriarchale Strukturen wider, die das Einkommen generieren. So sind es gerade reichweitenstarke Mutterschaftsaccounts, die ein tradiertes Bild von Mutterschaft zeichnen, das dem des Werbemarktes eingeschriebenem männlichen Blick schmeichelt. Wird Instagram als Aushandlungsort von Mutterschaft verstanden, dann wächst das Risiko, dass vor allem traditionelle Rollenverständnisse von Mutterschaft verhandelt werden, die zu einer Retraditionalisierung von Mutterschaftszuschreibungen innerhalb der Gesellschaft führen können. Die Auswirkungen dieser Reproduktion von Mutterschaftsidealen auf Instagram, gelenkt durch Mechaniken des Marktes, sind breit und wissenschaftlich untersuchenswert. Vor allem der Druck, der auf Konsument*innen liegt, die sich selbst in elternschaftlichen Aufgaben befinden, dem perfekten Bild von Mutterschaft auf Instagram zu entsprechen, wiegt schwer. 


    Literatur

    Autenrieth, Ulla. (2014). Die ‚Digital Natives‘ präsentieren ihre Kinder–Eine Analyse der zunehmenden (Selbst-) Visualisierung von Familie und Kindheit in Onlineumgebungen. Studies in Communication Science, 14 (2). 99-107.

    Donath, Orna. (2016). #regretting motherhood. Wenn Mütter bereuen. (1. Aufl.). Albrecht Knaus Verlag.

    Giesselmann, Marco. (2018). Mutterschaft geht häufig mit verringertem mentalem Wohlbefinden einher. 85(35), 737–744. https://doi.org/10.18723/diw_wb:2018-35-1.

    Knauf, Helen & Mierau, Susanne. (2021). Instamoms: Visuelle Inszenierungen intensiver Mütterlichkeit in Social Media. Eine Analyse der Darstellung von Müttern mit ihren Kindern auf Instagram. Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation 41 (3), 283 – 300. DOI 10.3262/ZSE2103283.

    Locatelli, Elisabetta. (2017). Images of breastfeeding on instagram: Self-representation, publicness, and privacy management. Social Media and Society. https://doi.org/10.1177/2056305117707190.

    Wegener, Claudia, Jage-D’Aprile, Friederike & Plumeier, Lisa. (2022). Motherhood in social media: phenomena and consequences of the professionalization of mothers and their media (self-)representation, Feminist Media Studies. DOI: 10.1080/14680777.2022.2108479.

  • Digitale Schwangerschaftsbegleitung für mehr Selbstbestimmung, Empathie und Wissenschaft

    Digitale Schwangerschaftsbegleitung für mehr Selbstbestimmung, Empathie und Wissenschaft

    Aus der Sicht einer Hebamme, Wissenschaftlerin, Mutter und Gründerin

    Schwangerschaft und Geburt als Sonderfälle im digitalen deutschen Gesundheistwesen befeuern alte heteronormative Rollenbilder. Doch feministische Technologien können Abhilfe schaffen.

    von Mirjam Peters

    Schwangerschaft und Feminismus 

    Die Zeit der Schwangerschaft ist aus feministischer Sicht ein besonderer Zeitraum. Wieso?

    1. Ein zentrales Anliegen des Feminismus ist die Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Dies spielt auch bei erwünschten Schwangerschaften und Geburten eine besondere Rolle und betrifft beispielsweise Themen wie Gewalt während der Geburt, Untersuchungen und Interventionen in der Schwangerschaft oder auch tradierte Normen und Regeln des Verhaltens.
    2. Die Schwangerschaft ist ein Lebensabschnitt mit besonderen physischen und psychischen Risiken und Belastungen, zum Beispiel durch Beschwerden, Erkrankungen oder Operationsrisiken. Davon sind nur Menschen mit Uterus betroffen.
    3. Die Schwangerschaft und das erste Jahr mit Kind ist ein Zeitraum, in dem viele Entscheidungen für den eigenen Lebensentwurf und die eigene Familienkonstellation getroffen werden. Diese haben zumeist starke Auswirkungen auf das spätere Leben, wie z.B. Elternzeit, Vollzeit-/Teilzeitarbeit,      Verteilung der Care Arbeit, oder Mental Load.
    4. Eine Schwangerschaft ist auch ein Privileg. Schwanger werden können nicht alle Menschen, oftmals auch nicht diejenigen, die sich ein Kind wünschen.

    Die Rolle der Digitalisierung in der Schwangerschaft 

    Mit der zunehmenden Digitalisierung im Gesundheitsbereich spielen auch Apps eine immer größere Rolle in der Schwangerschaft und damit auch bei der Gestaltung dieser Zeit. Aktuell nutzen ca. 75% der Schwangeren verschiedene Apps. Doch leisten diese einen feministischen Beitrag?

    In einer der vielen kostenfreien Apps werde ich wie folgt begrüßt: „Hey Mummy, hat dein Daddy schon das Babybett aufgebaut?” Die Bildsprache ist rosa, zu sehen ist eine schlanke Frau im engen Kleid mit prallem Bauch und wehenden Haaren. Auf ihrem Bauch liegt eine männliche Hand mit Ehering. 

    Der erste Eindruck suggeriert also ein eher traditionelles heteronormatives Bild statt eines von Selbstbestimmung und Feminismus. Doch wie geht es besser?

    Meine Mitgründerin Elena Kirchner und ich haben 2020 an der Hochschule für Gesundheit in einem Transferprojekt uma als App für die Schwangerschaft entwickelt und anschließend als Unternehmen ausgegründet, um sie langfristig verfügbar zu machen. 

    Dabei war unser Ziel, eine App zu entwickeln, um Selbstbestimmung und eine hochwertige wissenschaftlich-medizinische Versorgung in einer bedeutsamen und Weichen stellenden Lebensphase zusammenzudenken. Dabei war es uns wichtig, individuelle Hilfestellung zu leisten und auch prägende Strukturen sichtbar zu machen. 

    Bild: uma App

    Selbstbestimmung: Schwangere dürfen Entscheidungen für sich, ihren Körper und ihr Kind treffen

    Um wirklich selbstbestimmte Entscheidungen treffen zu können, zum Beispiel für Verhaltensänderungen, Untersuchungen, den Geburtsort oder die Art zu gebären, benötigt es verschiedene Voraussetzungen. So müssen klare und verständliche Informationen zu verschiedenen Optionen sowie deren Vor- und Nachteilen vorliegen, damit eine Entscheidung getroffen werden kann. 

    Die Beratung dazu muss ergebnisoffen sein. Immer wieder berichten Schwangere jedoch, dass sie überrascht sind, dass man Vorsorgeuntersuchungen nicht machen muss.

    Dabei spielt es auch eine Rolle, welche Informationen präsentiert werden. Auf vielen Blogs ist zu lesen, welche geburtsvorbereitenden Maßnahmen wann und wie genau durchgeführt werden können (Louwen Diät, Himbeerblättertee, usw.). Für viele dieser Maßnahmen gibt es keine wissenschaftlichen Nachweise oder die Auswirkungen der Maßnahmen sind eher gering. Dies suggeriert Schwangeren jedoch, dass sie damit etwas beeinflussen könnten: Bereite ich mich nicht gut genug vor, bin ich selbst schuld, wenn es nicht gut läuft. Dies vernebelt die viel wichtigere Bedeutung der Strukturen der Geburtshilfe und die Art der Begleitung der Geburt. Anders gesagt: Die Tür, durch die ich zur Geburt gehe, ist viel bedeutsamer für das Risiko einer Dammverletzung als vorbereitende Dammmassagen. 

    Auch die Art der Ansprache prägt mögliche Reaktionen darauf. Werden Schwangere verniedlicht, eingeschüchtert, von oben herab angesprochen oder wird ihnen suggeriert, sie verstehen gewisse Abläufe oder relevanten Themen ohnehin nicht, wird der mögliche Reaktionsraum kleiner. Es kann dazu führen, dass sie sich klein oder unsicher fühlen oder nicht nachfragen, obwohl es Fragen gibt. 

    Hier benötigt es gute und klare Informationen und eine Ansprache auf Augenhöhe – sowohl von Fachpersonen im persönlichen Kontakt als auch im Digitalen. 

    Hochwertige gesundheitliche Versorgung 

    Eine gute gesundheitliche Begleitung bedeutet, die Gesundheit und die Ressourcen zu fördern und Risiken und Erkrankungen frühzeitig zu erkennen und falls notwendig zu behandeln. Zudem gibt es in der Schwangerschaft eine Vielzahl von Belastungen und Beschwerden. Hier eine möglichst wirksame      Behandlung anzubieten, bedeutet Entlastung für die Betroffenen.

    Jedoch gibt es in der Schwangerenvorsorge auch Untersuchungen, die aus wissenschaftlicher Sicht nicht sinnvoll sind oder von denen sogar abgeraten wird. Sie werden trotzdem häufig durchgeführt, wie routinemäßige CTG-Untersuchungen vor dem errechneten Termin, mehr als drei routinemäßige Ultraschalluntersuchungen oder routinemäßige vaginale Untersuchungen. Diese führen auch zu einer unnötigen Pathologisierung der Schwangerschaft und lenken die Wahrnehmung dieser in eine bestimmte Richtung. 

    Digitale Angebote können sowohl Hilfe bei Beschwerden und Hilfe zur Früherkennung bieten als auch über den Sinn – oder auch Unsinn – von Untersuchungen sachlich informieren. 

    Bild: uma App

    Eine Wahl haben: Familienkonstellationen und Lebensentwürfe

    Bilder und die Art der Sprache festigen – häufig unbemerkt – unsere Vorstellung davon, was falsch und was richtig ist. So bedienen sich digitale Informationsmaterialien in Apps oder auf Websites häufig den immer selben heteronormativen Familienkonstellationen, Hautfarben, Stimmungen, Kulturen und Körperformen. Häufig wird ein Vater angesprochen – von Partner:innen ist jedoch seltener die Rede. Eine inklusive, diverse Gestaltung von Bild und Sprache kann dabei helfen,  vielfältige Realitäten zu erzeugen und sie einfacher lebbar zu machen. 

    Die uma – App im Kontext des deutschen Gesundheitswesens

    Ein Screenshot vom Smartphone Bildschirm in der uma-App: Begrüßung "Hi, Elena", darunter ein Bild eines Fötus in der 28 + 6 SSW. Der zweite, kleinere Bildschirm zeigt drei Zeichnungen mit dem Titel "Auswahl des Geburtsorts" und darunter eine abspielbare Audiodatei mit Text.
    Die Begrüßung in der Schwangerschaftsapp. Bild: uma App

    Mit der uma-App versuchen wir alle diese Punkt in einem digitalen Produkt umzusetzen und doch sind unsere Möglichkeiten aktuell begrenzt. Im deutschen Gesundheitswesen wurden in den letzten Jahren die Möglichkeiten ausgebaut, dass Krankenkassen die Kosten für Apps übernehmen oder erstatten, u.a. um damit die Souveränität von Patient:innen zu stärken. Bei den Gesetzen wurden sowohl Apps für Krankheiten als auch Präventionsapps bedacht. Nicht jedoch Schwangerschaft und Wochenbett. Als „Sonderfälle“ im deutschen Gesundheitswesen werden diese Punkte häufig nicht mitbedacht und fallen dann durch neue Initiativen durch. So bleibt auch die uma App aktuell eine Selbstzahler:innen-App. Das bedeutet, sie ist nur für eine bestimmte Zielgruppe verfügbar und kann aktuell auch nicht weiter ausgebaut werden. Für viele Firmen lohnen sich damit günstige Apps, die als Werbeplattform funktionieren, mehr als hochwertige Apps, die die Selbstbestimmung und gesundheitliche Versorgung fördern.

    Es zeigt sich, dass die Versorgung rund um die Geburt und die Versorgung durch Hebammen in Gesetzen und regulatorischen Prozessen noch immer nicht regulär mitgedacht werden. Für eine gute Versorgung von Menschen rund um die Geburt braucht es diese wichtigen Weichenstellungen. 

  • Mirjam Peters

    Foto: © OliverTjaden

    Mirjam Peters ist Hebamme und promoviert im Bereich Public Health zu den Zielen und der Qualität der Hebammenversorgung aus der Perspektive der Nutzerinnen. Sie ist Co-Gründerin der uma-App, einer App für mehr Gesundheit und Selbstbestimmung rund um die Geburt. 

    Beitrag

    Digitale Schwangerschaftsbegleitung für mehr Selbstbestimmung, Empathie und Wissenschaft

  • Jo Lücke

    Jo Lücke ist Co-Leiterin der Initiative Equal Care Day und verantwortet dort die Sparte Mental Load. Sie studierte in Mannheim und Baltimore Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre und entwickelt Materialien zur politischen Bildung, darunter den Mental Load-Test, der in zahlreichen Medienformaten von ZDF bis Deutschlandfunk gefeatured wurde. Seit 2019 bietet sie Fortbildungen, Workshops, Vorträge und Impulse zu den Themen Equal Care, Mental Load und Caring Companies an. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.

    Beitrag

    Die Sichtbarkeit von Sorge-Arbeit in digitalen Räumen

  • Dr. Mandy Mangler

    Dr. Mandy Mangler hat in Berlin studiert, ist an der Charité Fachärztin geworden, promoviert, habilitiert, Gynäkologische Onkologin, Chefärztin seit 2016, an zwei Kliniken seit 2021, Fan von Digitalisierung, lean management, Vereinbarkeit und Spaß bei der Arbeit.

    Beitrag

    Digitalisierte Krankenhäuser

  • Dr. med. Jana Maeffert

    Jana Maeffert ist Gynäkologin in einer Gemeinschaftspraxis in Berlin (Gyn-Praxis Nova). Sie setzt sich seit vielen Jahren für die Verbesserung der Versorgung von ungewollt Schwangeren ein. Sie ist im Vorstand von „Doctors for Choice Germany“ und Mit-Autorin des Buches „Schwangerschaftsabbruch und gestörte Frühschwangerschaft-ein Praxishandbuch (Springer Verlag Heidelberg)“.

    Beitrag

    Medikamentöser Schwangerschaftsabbruch zuhause – Möglichkeiten digitaler Unterstützung

  • Dani Nikitenko

    Dani Nikitenko [sie/ihr] entwickelt Produkte für die gynäkologische Praxis. Tabus, Körper, Selbstbestimmung und die Patient*innen-Ärzt*innen-Beziehung sind die Schwerpunkte ihrer Arbeit. Ihr Projekt »Beside Blood – cycle exploration«, ist ein Set von Objekten, um zyklusbedingte körperliche Veränderungen zu erforschen und wurde unter anderem für die German Design Graduates ausgewählt.

    Beitrag

    Medikamentöser Schwangerschaftsabbruch zuhause – Möglichkeiten digitaler Unterstützung