Digitale Sorgearbeit und regenerative Arbeit. Ein Vergleich.

Die Figur der digitalen Hausfrau findet sich vermehrt auf digitalen Plattformen wie Instagram oder Facebook. Ihr Tätigkeitsfeld umfasst vor allem das stetige Hochladen neuer Beiträge, denn sie ist auf Likes, Klicks und Interaktion mit ihren Follower*innen angewiesen.

von Ute Kalender

Etwa 14 verschieden große Kacheln, verbunden mit Linien, dazwischen kleine Kreise mit Icons oder Symbolen: unten links zwei Tampons, rechts daneben eine Tabelle mit grafischer Darstellung der Temperaturmessungen, darüber ein Fieberthermometer, darüber eine Pillenpackung. Im Zentrum ist ein Fötus bzw. Baby in fetaler Haltung vor blauem Hintergrund, das Bild überschneidet sich mit einer Eizelle, die von Samenzellen umgeben ist, vor rotem Hintergrund. Darüber ist eine Spritze sowie ein Bild mit Pillen zu sehen. Oben rechts ist ein Eileiter und den verschiedenen Stadien einer Eizelle im Uterus zu sehen. Daneben eine Menstruationstasse und eine Kupferspirale. Darunter ein Schwangerschaftstest. Weiter unten rechts ein Urinprobebecher mit dem Abstrich für pH-Werte. Unten rechts drei Pillen auf blauem Hintergrund, zwei Hände, die ein Glas Wasser und eine Pille zum Schlucken festhalten.
Illustration: Lucie Langston

War es vor ein paar Jahren die Kritikfigur der regenerativen Arbeit, die ausgehend von Melinda Coopers und Catherine Waldbys Arbeiten, durch das akademische und aktivistische Dorf getrieben wurde, scheint es heute die digitale Hausfrau zu sein. Ein Begriff der von der postmarxistischen Medienwissenschaftlerin Kylie Jarrett geprägt wurde (vgl. Cooper und Waldby 2010, Jarrett 2016). Beide Konzepte sprechen an, weil sie Unsichtbares sichtbar machen wollen und weil sie feministisch und solidarisch agieren. 

Die digitale Hausfrau vs. regenerative Arbeit

Zunächst nehmen beide Praktiken rund um scheinbar statische, natürliche Entitäten ins Visier: Die digitale Hausfrau befasst sich mit Tätigkeiten rund um digitale Plattform wie Instagram oder Facebook, die nicht ohne unsere Likes, Klicks und das unermüdliche Hochladen von Fotos existieren können. Das Konzept der regenerativen Arbeit nimmt Substanzen wie Eizellen, Spermien oder Embryonen ins Visier und unterstreicht, dass um zum Beispiel den Laborembryo als Hauptakteur einer künstlichen Befruchtung herzustellen, Arbeit notwendig ist: Sich gut zu ernähren, in die Klinik zu fahren, sich Hormonstimulationen unterziehen und mit Risiken wie dem Hyperstimulationssyndrom zu leben. 

Auch geht es somit um Selbstsorge, die in beiden Arrangements aufs engste mit Sorge für Andere gekoppelt ist. Regenerative Selbstsorge ist Sorge für mich und meinen Körper und ist zugleich physiologische Sorge für den Embryo und rohstoffliche Sorge für die Reproduktionsindustrie. Ebenso ist das Posten, das Nicht-Posten oder das Löschen von Tipsi-Posts, also von Posts nach einem Mezcal Sour, digitale Selbstsorge für mich und kann doch auch immer Sorge für meine Freund_innen, Fremde oder Plattforminhaber_innen und die Werbeindustrie sein. 

Beiden Konzepten ist die Politisierung und Skandalisierung von unsichtbarer und unentlohnter Arbeit gemein. Für eine Reihe künstlicher Befruchtungen kann schnell ähnlich viel Geld wie für einen Kleinwagen gezahlt werden. Die enormen Summen gehen aber nicht an die Person, die in den Vorgängen viel auf sich nehmen und leisten muss, um eine Eizelle zu produzieren, sondern an die Inhaber_innen der Reproduktionskliniken und die Reproduktionsmediziner_innen. Betrachten wir digitale Sorgearbeiten, so ist auch die unentlohnt. Viele Social Media Nutzende werden zwar gern in ihren Tätigkeiten belächelt, Etliches ihrer erwirtschafteten Gewinne geht aber nicht an sie sondern als Profite an die Plattformbesitzenden und Unternehmen. Mark Zuckerberg gehört bekanntlich zu den reichsten Menschen der Welt. Das Vermögen des Inhabers von Facebook und Instagram wurde 2022 auf rund 65 Milliarden Dollar geschätzt, während die Nutzenden für digitale Endgeräte zahlen und ihre Daten zur Verfügung stellen. 

Die Erweiterung der feministischen Debatte um Sorge

Auch schließen beide Konzepte an feministische Debatten um Sorgearbeit an – zu nennen wäre an dieser Stelle etwa Mariarosa Dalla Costa, Selma James, Leopoldina Fortunati oder Silvia Federici. Davon ausgehend adressieren Melinda Cooper und Catherine Waldby Reproduktionstechnologien als Teil von transnationalen Reproduktionsökonomien und erweitern so die Frauenarbeitsdebatte um die Frage nach Reproduktions- und Biotechnologien. Reproduktionsökonomien gehen demzufolge mittlerweile über Orte wie das Zuhause und über Tätigkeiten wie Putzen, Sexhaben oder Kinderaufziehen hinaus und finden auch in den Fertilisationskliniken und Laboren einer globalen Welt statt. Nicht reproduktive Wünsche, so die Autorinnen, sondern kapitalistische Akkumulationsbegehren sind wesentliche Gründe für das Entstehen dieser Ökonomien gewesen (z.B. Cooper 2008, 129 ff., Cooper/Waldby 2010). Betrachten wir wiederum die Figur der digitalen Hausfrau, will Kylie Jarrett damit ebenfalls den historischen Gender Aspekt sichtbar machen – die Ähnlichkeit von feminisierter digitaler Arbeit zu Hausarbeit. Jarrett bevorzugt daher die Bezeichnung Hausfrau gegenüber der geschlechtsneutralen „domestic worker“. Denn beide – Hausfrau und digitale Arbeiter_in – sind im Gegensatz zum Arbeiter unbezahlt (Jarrett 2016, 4).

Dennoch ist fraglich, ob Hausarbeit, regenerative Arbeit und feminisierte digitale Arbeit alle mit einem ähnlichen Begriff feminisierter Arbeit erfasst werden können. Ist nicht Hausarbeit wie Putzen anstrengender als Freund_innen durch ein Like unter einem Foto ein angenehmes Gefühl zu bereiten? Und ist nicht das Hochladen eines schönen Fotos etwas komplett anderes als anstrengende Hormongaben zu untergehen, operative Eizellentnahme oder ein Kind für eine andere Frau auszutragen? Hier ist noch viel empirische Forschung und ein kritisches Durchdenken der Konzepte notwendig, um ihre Tragfähigkeit zu explorieren. 

Dennoch führen alle Konzepte Diskussionen und Auffassungen vergeschlechtlichter Praktiken aus diskursiven Sackgassen, problematischen Problematisierungen und Unsichtbarkeiten heraus. Das Konzept der Hausarbeit macht deutlich, dass es nicht Liebe oder die vermeintliche Natur der Frau ist, die Frauen dazu bringt, sich unentlohnt um andere zu kümmern, sondern eine Geschlechterordnung, die solche Rollen nahelegt. Leihmutterschaft ist dann nichts moralisch Verwerfliches mehr, das wie Sexarbeit in Grauzonen gedrängt und tabuisiert wird, sondern wird als Möglichkeit von Personen mit Uterus genutzt, um sich und ihre Familien zu ernähren. Schließlich sind Influencende keine dummen, entfremdeten Hühner, wie maskulinistische Kritik suggeriert (z.B. Schmitt/Nymoen 2021). Praktiken rund um die großen Plattformen spiegeln keine Entsinnlichung wider und sind auch nichts rein Soziales wie der Begriff Soziale Medien nahelegt, sondern nur die Vorderseite einer riesigen globalen Reichtumsmaschine, an denen wir endlich alle teilhaben sollten. 


Literatur

Cooper, Melinda (2008) Life as Surplus. Biotechnology & Capitalism in the Neoliberal Era. Seattle/London.

Cooper, Melinda/Waldby Catherine (2010) From Reproductive Work to Regenerative Labour: The Female Body and the Stem Cell Industries. In: Feminist Theory 11(3), 3-22. 

Jarrett, Kylie (2016) Feminism, Labor and Digital Media: The Digital Housewife. New York: Routledge. 

Nymoen, Ole/Schmitt Wolfgang M. (2021) Influencer. Die Ideologie der Werbekörper. Frankfurt am Main: Suhrkamp.