Zurück in die 1950er gescrollt – wie Social Media ein veraltetes Rollenverständnis propagiert
Instagram ist voll von Bildern über Schwangerschaft, Kinder und Familie – alles erscheint dort natürlich, idyllisch und perfekt. Wer nach dem chaotischen Familienalltag, der Vereinbarkeitskluft oder kritischen Auseinandersetzungen mit einem modernen Mutterideal sucht, muss wirklich tief graben.
von Lisa Trautmann
Mein Instagram-Algorithmus wusste von meiner Schwangerschaft, lange bevor ich einigen meiner besten Freund*innen davon erzählt hatte. Sie fiel in den zweiten Lockdown im Herbst und Winter 2020, während dem es noch zu großflächigen Schließungen kam und soziale Kontakte stark reglementiert und reduziert wurden. Möglichkeiten für direkten Austausch gab es für mich also wenige. Logisch, dass Instagram zu einer meiner bevorzugten Anlaufstellen für Wissensaneignungen für alles wurde, was meine neue Peer-Group (werdende Mütter und Eltern) auf Social Media mit der Welt teilte. Schwanger mit Smartphone tat ich, was man schwanger mit Smartphone tut: Ich tauchte ein in die Social-Media-Welt der #momtobes und versuchte mir vorzustellen, was da auf mich zukommt und wie in wenigen Monaten mein Leben aussehen könnte.
Ich ließ mich meist ziellos berieseln, machte mich aber auch gezielt auf die Suche nach Antworten auf meine bisweilen banalen Fragen. Wie kann man so einen wachsenden Bauch eigentlich schön stylen? Wo finde ich nachhaltige Babykleidung? Warum ist mein Fuß taub? Was essen andere Schwangere eigentlich so? Ich scrollte und speicherte und scrollte und likte. Folgte Hashtag auf Hashtag (#ssw-wowarichdochgleich?), scrollte weiter und tat das alles für lange Zeit mit recht unkritischen Augen. Ich sah glatte, makellose, überwiegend weiße Bäuche. Schwangere, die Erstausstattung im Wert eines Kleinwagens shoppten. Lachende Frauen, die ihren Bauch streichelten, der scheinbar das einzige Körperteil war, das im Laufe der Schwangerschaft größer geworden war. Zufriedene #futuremoms, die ihre #preggolooks präsentierten und die es irgendwie schafften, mit einem kleinen Menschen im Bauch noch immer ein sorgenloses #thatgirl zu sein. Was mir allerdings kaum bis gar nicht in den Feed kam: Regenbogenfamilien, Trans-Schwangerschaften, behinderte Mütter und Kinder, Bäuche mit Dehnungsstreifen, BIPoCS, dick_fette Schwangere, Geldnot und so weiter. Kurz: Die Realität.
Schwangerschaft als Reichweiten-Booster
Content rund um die Themen Kinder, Schwangerschaft und Familie ist ein Reichweiten-Booster in den sozialen Netzwerken. Unsere Gesellschaft lechzt nach privaten Einblicken in auch den banalsten Familienalltag. Das wissen natürlich auch Instagram, YouTube und Co. und belohnen derlei Inhalte mit Reichweite und Sichtbarkeit. Allerdings nur Content, in dem Frauen glücklich ihrem Nestbautrieb nachgehen und ihr perfektes Familienleben teilen und scheinbar sorgenfrei in die Zukunft blicken. Die kritischen, die gesellschaftlichen Strukturen hinterfragenden und auf Probleme aufmerksam machenden Inhalte gibt es, sie werden aber vom Algorithmus lieber unter den Teppich gekehrt und man muss schon gezielt auf die Suche gehen, um hier fündig zu werden. Es ist im Netz eben wie in unserer Gesellschaft: von Schwangeren und Müttern wird erwartet, dass sie sich freuen und dankbar sind. Das Verständnis von Schwangerschaft, Mutterschaft und Familie, das auch auf Instagram propagiert wird, ist nicht nur einseitig, sondern bisweilen reaktionär und nährt nicht nur eine Retraditionalisierung der Rollenverteilung in einer Beziehung, sondern klammert eine Reihe anderer Lebenskonzepte komplett aus.
Digitales Wiederbeleben der 1950er Rollenbilder
Zum einen sind es gerade beim Thema Schwangerschaft und Geburt zu 99 Prozent weiblich gelesene Userinnen, die den relevanten Content teilen und sich austauschen, was den Diskurs sehr einseitig macht. Zum anderen wird sich eines Narrativs bedient, das wenig bis gar keine Selbstkritik und -reflexion an diese Frauen- und Mutterrolle transportiert, die eher den normativen Erwartungen von 1950 als 2020 entspricht. In der Care-Arbeit wird gerne und viel vom Gatekeeping durch überambitionierte Mütter gesprochen. Ich halte das für Humbug, denn es wäre das erste Mal, dass sich Männer so einfach die Butter vom Brot nehmen lassen in einem Bereich, in dem sie gerne mitsprechen würden. Tatsächlich wird zum Großteil vor allem ein Bild von Müttern vermittelt, die von Schwangerschaft bis Geburt alles bestens gewuppt bekommen und die im Anschluss an ein „magisches“ Wochenbett mindestens ein Jahr zu Hause bleiben, bevor sie in Teilzeit in ihren Job zurückkehren. Man kann hier schon von toxic positivity sprechen. Das Fatale ist, dass an all diesen Messages ein langer Rattenschwanz hängt, der sich noch in der Generation unserer Eltern in einem Gender Pension Gap von rund 26 Prozent äußert.
Wie kann es sein, dass zwischen Social Media und dem Kampf und den Errungenschaften des Third- und Fourth-Wave-Feminism im echten Leben so eine krasse ideelle und inhaltliche Schere besteht? Ich habe hierzu wenig bis keine Informationen gefunden. Ein ganz subjektiver Gedanke hierzu ist, dass es sich bei Instagram um ein Unternehmen von Meta (ehemals Facebook) handelt und allein deshalb schon eine Zensur stattfindet. Das amerikanische Meta ist ja nun nicht gerade für seine Offenheit gegenüber modernen Liebes- und Lebensentwürfen bekannt. Vielleicht lag es auch am Corona-Lockdown, während dem ein retraditionalisierten Verständnis von Partnerschaft und Care-Arbeit vielfach wieder bemerkt und diskutiert wurde. Krisen werfen uns mental zurück in Strukturen, die vermeintlich sicherer und geordneter waren. Fakt ist, dass immer wieder vorgelebte Strukturen, und sei es „nur“ auf Social Media, sich in das kollektive Gedächtnis einbrennen und zum Normalzustand erklärt werden. Einerseits geht es um das Rollenverständnis, das ab dem Punkt der Empfängnis das Thema Kind zur Frauensache erklärt, andererseits wird hier die existierende bunte Familienrealität unserer Gesellschaft nicht ausreichend repräsentiert. Die mit Abstand erfolgreichsten Accounts und Posts erzählen aus dem Leben von Cis-Hetero-Familien. Homo-Paare oder behinderte Eltern oder Eltern von behinderten Kindern müssen mit Adjektiven wie „mutig“, „inspirierend“ oder „stark“ vorliebnehmen. Ein digitales Dasein als motivierender Wandsticker.
Die Realität verbessern, statt sie zu verdrängen
Inzwischen ist es besser geworden, eventuell habe ich nach eineinhalb Jahren als Mutter aber auch die Accounts gefunden, die die ganze Wahrheit abbilden. Themen wie parental Burn-out, unbezahlte Care-Arbeit durch Frauen, Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, Wochenbettdepression, Schlafmangel und Überforderung. Zukunftsängste, Paartherapien und Streit. Behinderte Kinder und / der Eltern. Bunte Familienmodelle aller Arten. Echte Postpartal-Bodys und Geburtstraumata. Mütter und Frauen, die wütend sein dürfen und undankbar und denen es gestattet wird, zu bereuen und die ihr Kind oder ihre Kinder trotzdem über alles lieben. Die sich weigern, zu Hause zu bleiben und gemeinsam mit ihren (getrennten) Partner*innen vorleben, wie Elternsein, Lohnarbeiten und man selbst bleiben in 2022 funktionieren kann.