Kategorie: Digitale Gewalt

  • Wenn gegen digitale Gewalt, dann intersektional feministisch!

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    Wir wertschätzen den Vorstoß der Kolleg*innen von Ein Team gegen digitale Gewalt und der Robert-Bosch-Stiftung gemeinsam mit dem bff: Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe sowie der Frauenhauskoordinierung e.V., ein gemeinsames Forderungspapier aus der Zivilgesellschaft an die Politik zu formulieren, sehr und unterstützen das Papier aus voller Überzeugung. Mit unserer Unterschrift möchten wir ein Zeichen setzen und die Politik an ihre Verantwortung im Kampf gegen digitale Gewalt erinnern. Wir möchten mit diesem Forderungspapier die bisherigen Debatten weiter vorantreiben und verdeutlichen, dass es konkrete, wirksame Maßnahmen braucht, um digitale Gewalt endlich umfassend zu bekämpfen. Dieses gesamtgesellschaftliche Problem erfordert dringend umfassende politische Aktionen – und ein intersektionaler sowie feministischer Ansatz ist dabei unverzichtbar.

    Digitale Gewalt und Hate Speech, eine der meistdiskutierten Formen von digitaler Gewalt, manifestieren sich online in etablierten Diskriminierungsmustern wie Sexismus, Antifeminismus, Rassismus, Antisemitismus, Trans- und Homophobie sowie Ableismus. Als spezifische Form digitaler Gewalt spiegelt Hate Speech die gesellschaftlichen Ausschlusssysteme wider, die durch Kategorien wie Gender, Klasse, Ethnizität, Sprache, Alter, Behinderung oder Lookism geprägt sind (Kettemann/Mosene 2019). Besonders betroffen sind Menschen, die mehreren marginalisierten Gruppen angehören. Amnesty International bestätigte 2018, dass Frauen* of Colour, Frauen religiöser oder ethnischer Minderheiten, LBTI-Personen, Frauen* mit Behinderungen oder nicht-binäre Personen oft Formen von digitaler Gewalt ausgesetzt sind, die sie auf einzigartige Weise betrifft (Amnesty International 2018). Amnesty hebt außerdem hervor, dass Frauen*, die sich für Frauenrechte einsetzen, sowie Journalistinnen und Politikerinnen besonders betroffen sind. Diese Befunde werden durch eine Erhebung von Plan International untermauert, die weltweit junge Frauen* im Alter von 15–25 Jahren zu digitaler Gewalt befragt hat (Plan International 2020, S. 8). Der Corona-Lockdown hat diese Problematik zusätzlich verschärft (vgl. Shepard 2021; Landesanstalt für Medien NRW 2021).

    Das gezielte „Silencing“ marginalisierter Gruppen durch Hate Speech führt dazu, dass Betroffene sich aus dem Internet zurückziehen (vgl. Amnesty International 2018; Plan International 2020; Geschke et al. 2019). Silencing wird oft bewusst eingesetzt, um bestimmte (marginalisierte) Gruppen aus öffentlichen Diskursen zu verdrängen. Für die Betroffenen bedeutet dies nicht nur eine gefährliche Einschränkung ihrer Meinungsfreiheit, sondern auch eine verzerrte Wahrnehmung von Mehrheiten im öffentlichen Raum.

    Trotzdem erfährt der gesamte Kontext um Hate Speech und digitale Gewalt weder wissenschaftlich – was den Mangel an validen Daten, Zahlen und Statistiken erklärt – noch politisch und juristisch die Aufmerksamkeit, die aktuell geboten wäre. Vor allem digitale Gewalt im häuslichen Kontext, als Fortschreibung des Diskurses um Gewalt gegen Frauen*, wird unterschätzt. Ebenso bleiben Formen wie Doxing – das unbefugte Öffentlichmachen sensibler persönlicher Informationen – oder Stalking zu wenig berücksichtigt (vgl. Roth 2018, 2019). Besonders die bildbasierte sexualisierte Gewalt wird kaum adressiert, und die Strafverfolgung steht diesem Komplex oft plan- und zahnlos gegenüber (vgl. Cater 2021; Köver 2021). Dabei liegen häufig klare Straftatbestände vor: Volksverhetzung, Beleidigung, Nötigung, Bedrohung, üble Nachrede, Verleumdung, Nachstellung und Gewaltdarstellung. Polizeien und Staatsanwaltschaften müssen stärker sensibilisiert und politische Zuständigkeiten klar definiert werden (vgl. Shepard 2020, 2021; Deutscher Juristinnenbund 2020, 2021).

    Wir fordern deshalb:

    … die Anerkennung aller digitalen Formen von digitaler Gewalt!

    Dazu gehört insbesondere auch der Komplex der bildbasierten digitalen Gewalt.

    • im Bereich der unautorisierten Nutzung und Veröffentlichung von Bild- und Videodaten auf sozialen Plattformen und Pornplattformen
    • im Kontext Deep Fakes / Deep Nudes; mit Blick auf die zunehmende Durchdringung einfach zu nutzender KI zur Generierung von misogynen pornografischen, gewaltvollen Falsch-Inhalten.
    • in den Datensätzen, bei der Fortschreibung von Diskriminierung & Biases im Kontext Big Data und KI.

    … das Bereitstellen von langfristigen Ressourcen zum Stärken eines breiten Bündnisses der intersektionalen feministischen Zusammenarbeit für Betroffene von digitaler Gewalt!

    Digitale Gewalt fungiert vielfach intersektional und betrifft so vor allem auch Menschen, die nicht eindeutig binär adressiert werden, Menschen mit körperlichen und psychischen Beenträchtigung, Personen in Flucht/Asylverfahren, Menschen, die von Rassismus, antimuslimischen Rassismus, oder Antisemitismus betroffen sind, sowie eine Vielzahl weiterer vulnerabler gesellschaftlicher Gruppen. Gerade weil dieses Thema eines ist, das über betroffene Frauen* hinaus Wirkmächtigkeit entfaltet, sind neben Frauen*beratungsstellen auch Institutionen einzubinden, die queere Menschen unterstützen, FLINTA- und LGBTQIA+ – Initiativen und Beratungsstellen gegen Rassismus und Antismitismus sowie eine Vielzahl weiterer gesellschaftlicher Akteur*innen, die sich gegen Diskriminerung und für eine diverse, inklusive und demokratische Gesellschaft einsetzen. All diese Institutionen benötigen neben einer fortlaufenden materiellen Unterstützung auch technische Ausstattung und Expertise, um das Thema ernsthaft bearbeiten zu können.

    … die Datenlage muss endlich verbessert werden – insbesondere im Hinblick auch auf das Ausmaß digitaler Gewalt in Zusammenhang mit autoritären Radikalisierungsformen! 

    Das Internet ist ein Ort der Freiheit, es ist zugleich ein Ort, der missbraucht wird, um Menschen zu radikalisieren und Hassrede zu platzieren. Hate Speech wird nicht selten zu Hate Crime, und spätestens hier ist der Punkt erreicht, an dem Gewalterfahrungen aus dem vermeintlich privaten Raum der Betroffenheit austreten in die analoge öffentliche Sphäre. Antifeminismus im Netz – so könnte man zugespitzt sagen – ist das („folgerichtige“) Ergebnis von radikaler gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in Form einer Herabwürdigung von Frauen* und LGBTIQA+ Communities durch gewalttätige und bedrohliche Sprache (vgl. Drüeke/Klaus 2014; Drüeke/Peil 2019).

    Schon seit einigen Jahren beobachten wir eine zunehmende Radikalisierung in der traditionellen Verschränkung von Misogynie, Antifeminismus, Antisemitismus und Rassismus, basierend auf reaktionären, konservativen Wertekontexten und geschlossenen, nicht selten verschwörungsmythologisch aufgeladenen Weltbildern (vgl. Zentrum für Gender Studies und feministische Zukunftsforschung 2021). Zunehmend organisiert sich so vor allem online eine Bewegung, die bereit ist, aus der Sphäre des Sagbaren auszutreten und ihren Hass in Form von Gewalt auf die Straße zu tragen. Alltagssexismus in Form von Sprache, Memes und Herabwürdigungen, verstärkt in und durch verschwörungsmythologische Gruppen, ist nicht selten das erste Eingangstor hin zu einer massiven Radikalisierung breiter Gruppen von Gesellschaft und kann bis zu menschenfeindlichen Attentaten und Femiziden reichen (vgl. Hartmann 2021).

    Auch diesen Kontext gilt es in den Blick zu nehmen und zu thematisieren.

    Für uns  gilt bei der Bekämpfung digitaler Gewalt: “Scham muss die Seite wechseln – das gilt auch für das Internet”. Alle Menschen haben ein Recht auf Sicherheit im Netz, ein Recht auf gewaltfreie Räume und ein Recht auf Teilhabe und informationelle Selbstbestimmung. Die Politik ist in der Verantwortung, allen Menschen diese Rechte und Chancen sowohl digital als auch analog zu ermöglichen. 

    Zum Hintergrund

    netzforma* e.V. – Verein für feministische Netzpolitik ist ein seit 2018 gegründeter Verein, der sich systematisch und explizit einer feministischen Netzpolitik und Agenda verschrieben hat. Digitale Gewalt nimmt bedauerlicherweise einen großen Anteil in dieser Debatte ein – netzforma* setzt sich von Beginn an mit der aktiven Bekämpfung und auch der Vernetzung von Ehrenamt und Hauptamt in dieser Sache auseinander und arbeitet in diesem Kontext vernetzt mit unterschiedlichsten zivilgesellschaftlichen Akteur*innen. Durch die Expertise der diversen netzforma*-Mitglieder, die in unterschiedlichen Arbeitsfeldern wie u.a. der Wissenschaft, Politik und politischen Bildungsarbeit, sowie der breiten Zivilgesellschaft tätig sind, leistet der Verein seit den Anfängen der Debatten über digitale Gewalt Definitions- und Aufklärungsarbeit, eröffnet Debattenräume und mischt sich in politische Diskurse ein.

    1. Definition Digitale Gewalt: Digitale Gewalt umfasst verschiedene Formen der Aggression und Diskriminierung im digitalen Raum, wie Hate Speech, Doxing, Stalking und bildbasierte sexualisierte Gewalt. Bei häuslicher Gewalt potenziert sich zudem zunehmend die Gewalt durch die Anwendung digitaler Technologie, wie etwa die Kontrolle und der Missbrauch des Smart Homes. Diese Gewalt spiegelt gesellschaftliche Ausschluss- und Diskriminierungssysteme wider, die auf Kategorien wie Gender, Klasse, Ethnizität, Alter, Behinderung und Aussehen basieren.
    2. Intersektionale Verschränkungen: Digitale Gewalt betrifft besonders stark Menschen, die mehreren marginalisierten Gruppen angehören. Amnesty International stellte 2018 fest, dass Frauen* of Colour, LBTI-Personen, Frauen* religiöser oder ethnischer Minderheiten und Menschen mit Behinderungen häufig von spezifischen Formen digitaler Gewalt betroffen sind. Diese Gewalt trifft sie auf besondere Weise (vgl. Amnesty International 2018).
    3. Gesellschaftliche Auswirkungen: Hate Speech zielt häufig darauf ab, marginalisierte Gruppen aus digitalen und öffentlichen Diskursen zu verdrängen („Silencing“) (vgl. Amnesty International 2018; Plan International 2020; Geschke et al. 2019). Dies führt nicht nur zur Einschränkung der Meinungsfreiheit der Betroffenen, sondern auch zu einer verzerrten Wahrnehmung im öffentlichen Diskurs.
    4. Mangel an Aufmerksamkeit und Daten: Trotz des zunehmenden Ausmaßes digitaler Gewalt gibt es in Wissenschaft, Politik und Justiz weiterhin zu wenig valide Daten, Zahlen und Strategien. Dies betrifft besonders den Kontext häuslicher digitaler Gewalt, die als Fortführung häuslicher Gewalt gegen Frauen* verstanden werden kann, sowie Doxing und Stalking (vgl. Roth 2018, 2019). Datenerhebung sollten dabei nicht nur Frauen und Mädchen, sondern auch nicht-binäre und trans* Personen in der Statistik berücksichtigen.
    5. Unzureichende Strafverfolgung: Insbesondere bildbasierte sexualisierte Gewalt wird häufig nicht konsequent verfolgt, obwohl sie oft klare Straftatbestände erfüllt, wie Beleidigung, Bedrohung, üble Nachrede oder Volksverhetzung (vgl. Cater 2021; Köver 2021). Der Mangel an Sensibilisierung bei Polizei und Justiz verstärkt dieses Problem (vgl. Shepard 2020, 2021; Deutscher Juristinnenbund 2020, 2021).
  • Stellungnahme zum Eckpunktepapier digitale Gewalt

    Stellungnahme zum Eckpunktepapier digitale Gewalt

    Hier ist unsere Stellungnahme zum Eckpunktepapier digitale Gewalt. Eine allgemeinen Text von uns, was digitale Gewalt ist, findest du hier.

    Auf der Seite des BMJ findet ihr auch die Stellungnahmen anderer Organisationen.

    Foto von Studio SMS