Care & Digitalisierung – Reproduktion in der digitalisierten Gesellschaft. Ein Dossier

In der Mitte ist ein Smartphone Bildschirm, darin abgebildet, über den Bildrand hinausragend sitzt eine Person im Schneidersitz, mit den Armen auf den Knien abgelegt, kurze blonde Haare, blaue Jeans, weißes Tshirt. Mit Linien und Icons verknüpft gehen weitere Bilder um das Smartphone herum. Unten rechts halten drei Demonstrierende die Verdi Fahnen hoch, darüber ist eine Schwarze Faust zu sehen. Darübe recht oben in der Ecke ist ein Bild mit sechs Kacheln von einer Videokonferenz zu sehen. Links oben in der Ecke ist eine Ärztin mit Headscarf zu sehen. Davon geht ein Bild mit drei Pillen ab, darunter eines mit einer Hand, die eine Pille und ein Glas Wasser hält. Darunter ist ein positiver Schwangerschaftsatest sowie ein Eierstock mit eingenisteter Eizelle sowie darunter einem Fötus im Uterus zu sehen.
Illustration: Lucie Langston

(Für-)Sorge (Care) als zentraler feministischer Begriff hält nicht erst seit Beginn der COVID-Pandemie 2020 Eingang in zahlreiche wissenschaftliche wie öffentliche Diskussionen. Vielmehr stellt er einen grundlegenden Begriff und Ausgangspunkt feministischen Nachdenkens und intersektionaler Kämpfe der letzten Jahrzehnte dar: Fürsorge umfasst vielfältige Tätigkeiten. Aus politisch-feministischer Sicht verweist der Begriff auf spezifische Tätigkeiten des sich Kümmerns und umfasst dabei ein weites Spektrum. Darunter fallen sowohl der Bereich der Reproduktion und Erziehung – damit also das Konzept der Elternschaft –, wie auch die Pflege von älteren und kranken Menschen sowie Menschen mit Behinderung und darüber hinaus vielfältige häusliche Tätigkeiten. Es geht also um die Ver- und Umsorgung von Menschen, aber auch der Umwelt und von materiellen Gegenständen. Obwohl Sorgearbeit die Grundlage allen Wirtschaftens darstellt, ist sie monetär nicht entlohnt und wird in den meisten Fallen von Frauen geleistet.

Gegenwärtig beobachten wir dabei die Digitalisierung unterschiedlichster Lebens- und Tätigkeitsbereiche. Es überrascht daher wenig, dass auch Care-Arbeit davon nicht unberührt bleibt. Man denke da etwa an Pflege- oder Sexroboter oder Apps zur Auslagerung von Haushaltstätigkeiten wie Einkaufen, Ernährung und Reinigung (Lieferando, Gorilla, Flink, Helping) sowie an smarte Kühlschränke oder umfassende smart home-Anwendungen. Dabei umfasst die Digitalisierung von Sorge-Arbeit ein größeres Spektrum als nur die Auslagerung von Arbeit – die Art und Weise, wie wir sichere Informationen gewinnen, Rollenbilder sich entwickeln und geprägt werden, wie sich Fürsorge in digitalen Räumen gestaltet – genau diesen Aspekten widmet sich das Dossier und versucht so einen erkundenden netzfeministischen Blick auf den Zusammenhang von Sorge-Arbeit und Digitalisierung.


Zu den Beiträgen

Einleitung zum Dossier

Care und Digitalisierung weben ein Netz vielfältiger Zusammenhänge. Umso wichtiger erscheint dabei eine genuin netzfeministische Perspektive, die Sorgearbeit ernst nimmt.

von Hannah Lichtenthäler und Ann-Kathrin Koster


GOOGLE Schriftzug , davon sind drei o's in Pillenform, durch die Buchstaben zieht sich ein Metallkleiderbügel in umgekehrt und unter dem Schriftzug spiegeln sich die Buchstaben G und gle.

Women on Web für ein Web for Women

Sind Informationen im Internet wirklich für alle verfügbar? Wie globale Tech-Unternehmen den Zugang zur sicheren Abtreibungsversorgung erschweren

von Women on Web


Medikamentöser Schwangerschaftsabbruch zuhause – Möglichkeiten digitaler Unterstützung

Nicht alle Schwangeren wollen Eltern werden – umso wichtiger ist es, ein sicheres Angebot für Schwangerschaftsabbrüche zu schaffen und für alle frei zugänglich zu gestalten.

von Jana Maeffert und Dani Nikitenko


Digitale Sorgearbeit und regenerative Arbeit. Ein Vergleich.

Die Figur der digitalen Hausfrau findet sich vermehrt auf digitalen Plattformen wie Instagram oder Facebook. Ihr Tätigkeitsfeld umfasst vor allem das stetige Hochladen neuer Beiträge, denn sie ist auf Likes, Klicks und Interaktion mit ihren Follower*innen angewiesen.

von Ute Kalender


Reproduktive Gerechtigkeit in der Digitalisierung

Digitalisierung erleichtert es Menschen Care-Arbeiten zu verrichten. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie es um reproduktive Gerechtigkeit in der digitalen Transformation steht konkret mit Blick auf Reproduktionstechnologien. Gerade in diesem Kontext gilt es, alle Akteur*innen in den Blick zu nehmen und strukturelle Diskriminierung vorzubeugen. Wir müssen uns immer wieder die Frage stellen, ob wir das, was technologisch möglich ist, wirklich wollen, und welche Interessen dabei in erster Linie vertreten werden.

von Derya Binışık


Retraditionalisierung auf Instagram

Instagram ist voll von Bildern über Schwangerschaft, Kinder und Familie – alles erscheint dort natürlich, idyllisch und perfekt. Wer nach dem chaotischen Familienalltag, der Vereinbarkeitskluft oder kritischen Auseinandersetzungen mit einem modernen Mutterideal sucht, muss wirklich tief graben.

von Lisa Trautmann


EIn Smartphone-Bildschirm in der Mitte des Bildes. Drei Hände zeigen mit dem Zeigefinger auf das Bild auf dem Bildschirm. Darauf zu sehen ist eine liegende Frau/weiblich gelesene person mit langen roten Haaren. Sie trägt ein weißes Tshirt und eine hellblaue Jeans. Sie liegt auf der Seite und hält mit einer Hand ihr Knie angewinkelt fest, auf dem angewinkelten andern Arm ist ihr Kopf abgelegt. Auf Höhe ihrer Brust liegt ein Baby mit hellblauem Strampler.

Instamoms – Feminismus oder Retraditionalisierung?

Mutterschaft auf Instagram ist schön, perfekt und vermittelt ein Bild zum wohlfühlen. Das ist jedoch alles andere als divers und modern. Stattdessen werden hier alte Traditionen nicht nur wiederbelebt sondern auch mit einer besonderen Brisanz als das Mutterideal verkauft.

von Friederike Jage-D’Aprile


Trans-Elternschaft im digitalen Raum

Neben cis-heteronormativen Familienmodellen bieten soziale Medien auch Platz für eine Vielfalt von Familienmodellen und Communitybuildiung abseits der Norm – doch das ist alles andere als konfliktfrei und stets dominiert und abhängig von ökonomische Interessen.

von Maya


Wer wird die Menschheit der Zukunft zur Welt bringen?

Die VR-Arbeit „Virtual Wombs“ fordert die Vorstellung von Frau- und Muttersein radikal heraus. Dieser Artikel ist zuerst im Missy Magazin am 13.01.2022 erschienen.

von Ulla Heinrich mit Bildern von Anan Fries


KI can’t care. Mütterlichkeit im Zeitalter Künstlicher Intelligenz

Mutterschaft ist in feministischen Diskursen oft ein Randthema. Künstliche Intelligenz könnte Wege aufzeigen, wie das Thema aktiver in feministische Kämpfe eingebunden werden kann.

von Hannah Lichtenthäler


Digitale Fürsorge im Freund*innenkreis

Digitale Fürsorge umfasst vielfältige Tätigkeiten – Inhalte hochladen, kommentieren, liken aber auch gegenseitige Unterstützung im Fall von Hasskommentaren oder digitalem Stalking. Was als ganz grundlegende Aspekte des Digitalen daherkommt, muss jedoch als fundamentaler Arbeitseinsatz verstanden werden, der kommerzielle Plattformen am Laufen hält.

von Chris Köver


Digitalisierte Krankenhäuser

Bisher sind in Krankenhäusern in Deutschland technische Anwendungen noch nicht flächendeckend zu finden. Dabei kann gerade in Kliniken der Einsatz intelligenter Technik gewinnbringend für Sorge- und Pflegetätigkeiten sein – weil sie Arbeit abnimmt, erleichert und so Zeit für primäre Sorgearbeit gewonnen werden kann.

von Mandy Mangler


Unsicherheiten im Umgang mit der Digitalisierung

Im Bereiche von Sorge- und Pflegearbeit besteht große Unsicherheit mit Blick auf die Digitalisierung von Arbeitsprozessen – ein Grund dafür ist ein fehlender Gesamtansatz. Dabei wird vor allem Künstliche Intelligenz vielfach als Mittel der Optimierung von Care-Arbeit betrachtet, dabei sind diese Technologien nicht frei von Bias und selbst geleitet von ökonomischen Interessen.

von Katharina Mosene


Digitale Schwangerschaftsbegleitung für mehr Selbstbestimmung, Empathie und Wissenschaft

Schwangerschaft und Geburt als Sonderfälle im digitalen deutschen Gesundheistwesen befeuert alte heteronormative Rollenbilder. Doch feministische Technologien können Abhilfe schaffen.

von Mirjam Peters


Digitalisierung der Hebammenarbeit

Die Digitalisierung könnte die Geburtshilfe erleichtern, doch es mangelt an einem politisch einheitlichem Konzept und der Erkenntnis, dass es nicht reicht, Technologie ohne jene zu gestalten, die später damit arbeiten werden.

von Luisa Strunk


Transparenz für Mehr Selbstbestimmung. Hürden Sozialer Medien für Hebammenstreik und Sexuelle Aufklärung

Soziale Medien bestimmen mit ihren Bilderverboten den Diskurs um Schwangerschaft und Geburt maßgeblich mit. Sie helfen damit aber nicht denen die Gebären, sondern prägen das Bild verbotener weiblicher Sexualität. Sexuelle Aufklärungsarbeit ist dringend nötig, Online-Angebote könnten dabei helfen.

von Francesca Orru


Zum Verhältnis von Ökonomie, Care-Arbeit und Digitalisierung

Ökonomisierung und Digitalisierung sind eng miteinander verwobene Prozesse. Umso wichtiger ist es, mit der historischen Entwicklung, wonach gesellschaftlicher Wohlstand auf einem ungleichen Geschlechterverhältnis fußt, zu brechen und diese nicht in einer digitalisierten Gesellschaft fortzuschreiben.

von Lena Weber


Die Sichtbarkeit von Sorge-Arbeit in digitalen Räumen

Damit sich etwas ändert, müssen wir mehr über die vielfältigen Gesichter und Aspekte von Care-Arbeit sprechen. Soziale Medien haben einen enormen Beitrag geleistet Sorge-Arbeit zu Entprivatisieren und diese als Basis allen wirtschaftens sichtbar zu machen.

von Jo Lücke


Digitale Tools für gerechte(re) Verteilung von Sorge-Arbeit

Sorge-Arbeit ist bis heute vergeschlechtlicht – sie wird in erster Linie von Frauen geleistet. In der Digitalisierung kann dabei eine Chance, liegen Sorge-Arbeit neu und gerechter zu gestalten – etwa indem uns digitale Tools dabei helfen, (un-)gerechte Aufgabenverteilungen nachzuverfolgen und die vielfältigen Aufgaben sichtbar zu machen.

von Johanna Fröhlich Zapata


Harmony’s Future | No Future w/o Harmony 

Die wissenschaftliche Diskussion um Sexrobotik ist zumeist polarisiert. Eine Perspektive bietet Constanze Erhard, in dem sie vorschlägt, in Bezug auf Sexbots von sexualisierter Care-Arbeit zu sprechen, um damit die (den Sexbots) zugrundeliegenden vergeschlechtlichten Herrschaftsverhältnisse besser fassen zu können und so zum Ausgangspunkt einer feministischen Analyse zu machen.

von Constanze Erhard


Digitalisierung braucht Care-Arbeit

Was wir unter Digitalisierung verstehen ist selbst in hohem Maße auf fürsorgliche Tätigkeiten angewiesen. Das, was gemeinhin unter Digitalisierung verstanden wird – algorithmische Systeme, soziale Medien und Newsfeeds –, basieren auf von Menschen geleisteten Care-Arbeiten. Das schließt Menschen mit Behinderung nicht aus.

von Katharina Klappheck


In der Mitte liegt ein Smartphone mit schwarzem Bildschirm, darauf zwei Chatnachrichten. Die erste sagt "You are not alone" um 14:51 Uhr, danach die "I am here for you" um 14:52. Zwei Hände mit braunem Nagellack sind neben dem Smartphone, die rechte Hand hebt den Zeigefinger zum Scrollen an.

Chatbot gegen Einsamkeit

Einsamkeit ist ein aktuelles Thema. Dabei gewinnt zunehmend die Frage an Relevanz, ob Roboter uns dabei helfen können, uns weniger allein zu fühlen. Was es heißt eine Freundschaft mit einer Maschine zu schließen, lotet der Beitrag auf und zeigt dabei mögliche Probleme und Grenzen auf.

von Paula Ziethmann


Weiterführende Literatur & Links